Allein durch die Vernunft? – Die Verteidigungsstrategie(n) des christlichen Glaubens gegenüber Judentum und Islam im Dialogus des Petrus Alfonsi

Lissek, Maria (14 September 2018). Allein durch die Vernunft? – Die Verteidigungsstrategie(n) des christlichen Glaubens gegenüber Judentum und Islam im Dialogus des Petrus Alfonsi (Unpublished). In: International Association for Anselm Studies. Fulda. 13.-16.9.2018.

Abstract
Petrus Alfonsi wurde im elften Jahrhundert als Jude in Spanien geboren und konvertierte nach eigener Angabe in seinem Werk Dialogus contra Iudaeos 1106 zum Christentum. Durch seine Ausbildung in Al-Andalus erlangte er grundlegende Kenntnisse über Judentum, Christentum und Islam sowie in den Naturwissenschaften. Nach seiner Bekehrung lebte er zeitweise auch in England und Frankreich. Eines seiner wichtigsten Werke ist der Dialogus contra Iudaeos. Dieser literarische Kontroversdialog beschreibt eine fiktive Konversation zwischen einer christlichen und einer jüdischen Figur über das Judentum (Tituli I–IV), den Islam (Titulus V) und den christlichen Glauben (Tituli VI–XII). Der Dialogus war im Frühmittelalter weit verbreitet (90 überlieferte Handschriften) und unterlag in der Folge einer reichen Rezeptionsgeschichte. Alfonsi schrieb den Dialog in einer Zeit, in der Christentum und Islam mehr und mehr an Einfluss erlangten und Vernunft zur Legitimierung religiöser Überzeugungen angewendet wurde. Es handelt sich somit um ein Beispiel für die Verteidigung des christlichen Glaubens gegenüber anderen Religionen auf der Basis von Vernunft und philosophischer Argumentation. Im Rahmen des Papers soll die Frage nach dem christlichen Selbstverständnis Peter Alfonsis, wie es sich in dem Dialog zeigt, hinsichtlich zweier Aspekte beleuchtet werden: Zum einen soll die vernunftbasierte Argumentationsweise im Dialogus aufgedeckt und nach weiteren Voraussetzungen zur Bekräftigung des christlichen Glaubens gefragt werden. Zum anderen sollen diese Erkenntnisse in den historischen Kontext, besonders in der frühmittelalterlichen Lehr- und Lerntradition, den interreligiösen Begegnungen dieser Zeit und der Rolle nach der These einer „Community of thought“ (Alex J. Novikoff) um Anselm von Canterbury, eingeordnet werden.

Proposal
Im elften und zwölften Jahrhundert kommt es in Nord- und Westeuropa zu persönlichen Begegnungen zwischen Christen und Juden, die zur Infragestellung der christlichen Glaubenswahrheit im Angesicht der anderen Religion führte. Diese Erfahrung verarbeiteten christliche Autoren unter anderem in der Gattung des literarischen Kontroversdialogs, in dem eine christliche Figur mit einer jüdischen und teilweise mit einer weiteren, nichtjüdischen in einen fiktiven Austausch über die verschiedenen Glaubenswahrheiten gebracht werden. In diesen Dialogen geht es primär um die Darlegung des christlichen Glaubens und weniger um eine Polemik gegenüber der anderen Religion. Die nichtchristliche Figur dient dazu, Einwände gegen den christlichen Glauben vorzubringen, aber nicht die eigene Position darzustellen. Der Fokus liegt auf der theologischen Auseinandersetzung des Christentums mit Andersgläubigen.
Die Dialoggruppe des Kontroversdialogs weist einen unterschiedlichen Wirklichkeitsbezug auf. Auch wenn sie im Anschluss an reale Gespräche verfasst wurden, können sie nicht als Quellen für die Rekonstruktion historischer Ereignisse herangezogen werden. Es handelt sich bei der literarischen Gattung um eine „schriftliche Inszenierung einer mündlichen Kommunikationssituation“ . Der Dialog ist dann entweder eine Rückschau auf eine tatsächliche Begegnung, dient der Vorbereitung auf künftige Auseinandersetzungen oder ist völlig fiktiv verfasst. Damit ist der Kontroversdialog zugleich Produkt und Ursache der Wirklichkeitswahrnehmung des Autors und der Dialog kann als Ganzes als „Sprachrohr des Autors“ verstanden werden. Neben dieser literarischen Ebene muss der Dialog hinsichtlich seines historischen Kontextes wahrgenommen werden: Die frühmittelalterliche Lehr- und Lerntradition, Begegnung und Austausch der Religionen in dieser Zeit sowie die herangezogenen Traditionen zur Begründung des christlichen Glaubens. In dieser Hinsicht konnte nachgewiesen werden, dass die Darlegung und Plausibilisierung des christlichen Glaubens auf Basis der Vernunft bei Anselm von Canterbury auf die Autoren frühmittelalterlicher Kontroversdialoge Einfluss hatte.
Einer dieser christlicher Autoren ist Petrus Alfonsi und sein Dialogus contra Iudaeos. Alfonsi wurde im elften Jahrhundert im muslimischen Spanien als Jude geboren. Nach Angabe im Dialogus konvertierte er 1106 zum Christentum. Neben der Kenntnis des Judentums, Christentums und Islams war er zudem in Naturwissenschaften ausgebildet. Daneben lebte er zeitweise in England und Frankreich, wodurch er nicht nur Kenntnisse über die (neue) Religion des Islam in den Norden Europas brachte, sondern auch im weitesten Sinne mit Gedanken und Methoden Anselms von Canterbury in Kontakt gekommen sein könnte. Vor diesem Hintergrund verfasste er auch eines seiner bekanntesten Werke, den Dialogus contra Iudaeos. Während eine große Zahl mittelalterlicher Kontroversdialoge Zwiegespräche sind, in denen eine christliche mit einer jüdischen Figur über den christlichen Glauben diskutiert, übernimmt in diesem Werk die jüdische Figur in Titulus V die Funktion eines Muslims. In den ersten vier Tituli werden Einwände gegen das Judentum vorgebracht, in Titulus V folgt die Begründung, warum eine Konversion zum Christentum dem zum Islam vorgezogen wurde und in Tituli VI–XII wird der christliche Glaube begründet. Dies stellt die Verteidigung des Christentums in einen weiteren Argumentationskontext: Die christliche Wahrheit muss sich vor zwei Religionen behaupten und dabei in sich kohärent bleiben. Zu Beginn des Dialogus hält Alfonsi hinsichtlich der Argumentationsweise fest, dass er „unter Anwendung von Vernunft und den maßgebenden Schriften“ Einwände gegen den christlichen Glauben widerlegen wird.
Es ist das Ziel des Papers die im Vorwort zum Dialogus angekündigte Argumentationsweise auf Basis von Schrift und Vernunft zu untersuchen, weitere Voraussetzungen in der Auseinandersetzung der Dialogfiguren aufzudecken und beides vor dem oben genannten historischen Hintergrund zu bewerten. Leitend ist dabei die Frage, welche Konsequenz – hinsichtlich Dialogform und historischem Kontext – die bei Alfonsi gefundene Anwendung von Vernunftgründen für die Verteidigung des christlichen Glaubens für sein Selbstverständnis hat.

Item Type:

Conference or Workshop Item (Speech)

Division/Institute:

01 Faculty of Theology > Department of Protestant Theology [discontinued] > Institute of Church History [discontinued]
01 Faculty of Theology > Department of Protestant Theology [discontinued] > Institute of Church History [discontinued] > Early Church History and the History of Dogma [discontinued]

UniBE Contributor:

Lissek, Maria

Subjects:

100 Philosophy > 180 Ancient, medieval & eastern philosophy
200 Religion > 210 Philosophy & theory of religion
200 Religion > 230 Christianity & Christian theology
200 Religion > 270 History of Christianity

Language:

German

Submitter:

Maria Lissek

Date Deposited:

11 Dec 2018 10:50

Last Modified:

05 Dec 2022 15:22

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/122291

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