Die Kontextausweitung des Definitartikels im Niedersächsischen

Pheiff, Jeffrey (26 May 2021). Die Kontextausweitung des Definitartikels im Niedersächsischen (Unpublished). In: 133. Jahrestagung des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Mit einem Schwerpunkt „Niederdeutsch und Niederländisch im Kontakt“. 25.–27.05.2021. Westfälische Wilhelms-Universität Münster.

Typologisch ist der Definitartikel ein wesentliches Merkmal westeuropäischer Sprachen, auch wenn „their forms and syntactic behavior show considerable diversity“ (Haspelmath 2001: 1494). Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung ist die Beobachtung, dass der Definitartikel in den niedersächsischen Varietäten von Groningen, aber auch von Drenthe und Ostfriesland, variabel verwendet wird (s. Pheiff 2018). Das Phänomen wird exemplarisch illustriert, wo der Definitartikel nach einer Präposition in (1), aber auch in anderen Argumentpositionen wie in (2) fehlt.

(1) tou ∅ deur oet (Ter Laan 1953: 100) ‘aus der Tür’
(2) ∅ Börgmeester is goud veur de aarm (Ter Laan 1953: 28) ‘Der Bürgermeister ist gut für die Armen’

Die These wird vertreten, dass es sich bei der variablen Verwendung des definiten Artikels um ein historisches Relikt handelt, d. h. um einen stehengebliebenen Grammatikalisierungsprozess, dessen Etappen sich im Raum nachvollziehen lassen. In Anlehnung an Himmelmann (1997: 28) wird davon ausgegangen, dass „Grammatikalisierung als Kontextausweitung […] zu beschreiben und zu analysieren ist“. Die Kontextausweitung erfolgt im semantisch-pragmatischen Gebrauchskontext. Demonstrativa und Definitartikel unterscheiden sich u. a. dadurch, dass erstere nur in pragmatisch definiten Gebrauchskontexten (anaphorisch, situativ) verwendet werden können, letztere auch in semantisch definiten (abstrakt-situativ, assoziativ-anaphorisch). Hinzu kommt, dass die Ausweitung nach host class und im syntaktischen Kontext erfolgt.
Es wurden neun historische Quellen in Bezug auf die Artikelverwendung ausgewertet (zwei Paralleltexte sowie sieben verschiedene Dialektumfragen mit unterschiedlicher historischer Tiefe und arealer Reichweite). Neben der „Form“ des Definitartikels wurden die Daten mit Informationen über Dialektgebiet, Alter der Gewährspersonen, Definitheitskontext, syntaktische Position, Belebtheit des Referenten und Komplexität der Nominalphrase. Der Definitartikel erscheint häufiger in pragmatisch definiten als in semantisch definiten Gebrauchskontexten, eher mit höher belebten als mit niedriger belebten Referenten und schließlich eher als Subjekt oder Objekt als nach einer Präposition. Die Variantenverteilung entspricht ziemlich exakt dem, was sich aufgrund der Theorie (etwa Himmelmann 1997) und anderer Studien über die Emergenz des Definitartikels in anderen germanischen Sprachen wie dem Althochdeutschen (etwa Flick 2019) erwarten lässt. Es zeigt sich, dass die Abwesenheit des Definitartikels von Nordgroningen über Ostgroningen über Westgroningen über Drenthe bis Ostfriesland abnimmt. In der Kurzzeitdiachronie zeigt sich, dass die Häufigkeit des Definitartikels entweder stabil bleibt oder abnimmt. Auch wenn dieser Befund gegen die These spricht, lässt er sich aus sprachsoziologischen Gründen erklären.

Item Type:

Conference or Workshop Item (Speech)

Division/Institute:

06 Faculty of Humanities > Department of Linguistics and Literary Studies > Institute of Germanic Languages

UniBE Contributor:

Pheiff, Jeffrey Alan

Subjects:

400 Language > 410 Linguistics
400 Language > 430 German & related languages

Language:

German

Submitter:

Jeffrey Alan Pheiff

Date Deposited:

17 Mar 2022 05:17

Last Modified:

05 Dec 2022 16:10

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/166073

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