Das Glück der Kinderlosen: Politischer Aktivismus und epistemischer Wandel in den 1970er Jahren

Germann, Pascal (2022). Das Glück der Kinderlosen: Politischer Aktivismus und epistemischer Wandel in den 1970er Jahren. Historische Anthropologie, 30(2), pp. 201-226. Böhlau 10.7788/hian.2022.30.2.203

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Im Jahr 1971 veröffentlicht die US-amerikanische Autorin Ellen Peck ein Buch, das sie mit Erinnerungen an eine Europareise beginnen lässt. Dabei beschreibt sie Momente des Glücks, die sie gemeinsam mit ihrem Ehemann erfahren durfte: den Besuch eines mittelalterlichen Schlosses an der Loire, den Genuss eines Chateaubriands in Paris, das Musikhören in einem Café in Dijon, ein Picknick mit eisgekühltem Champagner in Südfrankreich oder Übernachtungen in einem idyllischen Chalet in den Alpen. Als besonders unvergessliche Erfahrung von sowohl individuell als auch gemeinsam erlebtem Glück schildert sie einen Sommerabend in der Altstadt von Bern. Sie beschreibt, wie die letzten Sonnenstrahlen den majestätischen „Zeitglockenturm“ erhellten, und kontrastiert dessen Geschichtswürdigkeit mit der unbeschwerten Zeitlosigkeit, die das bunte Treiben in den Gassen bestimmte. Jugendliche sitzen zusammen, es wird musiziert, getanzt, geküsst und die Klänge von Rolling Stones’ Satisfaction scheinen die Autorin in einen Schwebezustand zu versetzen. Der „Summer of Love“ in der Berner Altstadt überschreitet jedoch keine Grenzen etablierter Moral. An Ellen Pecks Seite ist stets ihr Ehemann, der die Erlebnisse fotographisch festhält und mit dem sie während der Europareise ihren fünften Hochzeitstag feiert. Drogen sind zudem keine im Spiel, wie die Autorin festzuhalten für nötig hält.1
Was also ermöglichte die Glückserlebnisse des Ehepaars Peck? Offensichtlich setzten sie finanzielle und habituelle Ressourcen voraus, über die das Paar als Zugehörige einer weißen, gebildeten Mittelklasse verfügte. (West-)Europareisen erwiesen sich für diese zunehmend als erschwinglich. Sie fungierten als Statussymbole, die soziale Distinktion ermöglichten, und um die transatlantischen Bindungen zu stärken, erfuhren sie im Kalten Krieg eine gezielte Förderung.2 Das Bestreben Pecks, Glücksgewinne mittels privaten Konsums zu erzielen, entspricht zudem politischen Erwartungen in der „consumers’ republic“ der Nachkriegszeit, als Massenkonsum zur zentralen Erfolgsbedingung der Nation erhoben wurde.3

Item Type:

Journal Article (Original Article)

Division/Institute:

04 Faculty of Medicine > Pre-clinic Human Medicine > Institute for the History of Medicine

UniBE Contributor:

Germann, Pascal

Subjects:

600 Technology > 610 Medicine & health

ISSN:

2194-4032

Publisher:

Böhlau

Language:

German

Submitter:

Barbara Franziska Järmann-Bangerter

Date Deposited:

29 Mar 2023 15:59

Last Modified:

29 Mar 2023 23:28

Publisher DOI:

10.7788/hian.2022.30.2.203

BORIS DOI:

10.48350/180982

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/180982

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