Die Renaissance der Schweizer Allgemeinpraktiker - Beweggründe und Widerstände in der Entstehung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SGAM)

Stadler, Carmen Graziella (2023). Die Renaissance der Schweizer Allgemeinpraktiker - Beweggründe und Widerstände in der Entstehung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SGAM) (Unpublished). (Dissertation, Institut für Medizingeschichte, Medizinische Fakultät)

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«Ist es übertrieben zu sagen, dass wir in einer aussergewöhnlichen Epoche der bisherigen Weltgeschichte leben?», fragte sich der Schweizer Allgemeinpraktiker Dr. Edmond Girardet im Januar 1962 in seinem Artikel «Réflexions sur notre époque», welcher in der Schweizerischen Ärztezeitung (SÄZ) publiziert wurde1. Eine berechtigte Frage, denn die medizinische Praxis war spätestens seit Beginn des 18. Jahrhunderts durch grosse Veränderungen geprägt2. Aus dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt der darauffolgenden Jahrhunderte entstand nämlich ein neuartiges Phänomen in der Medizinlandschaft: die wissenschaftlich begründeten Spezialdisziplinen3. Obwohl es seit langer Zeit bereits Ärzte gab, welche sich speziellen Nischen der medizinischen Tätigkeit widmeten – wie zum Beispiel der Kindermedizin oder der Chirurgie – existierte das «Spezialistentum», wie es in der modernen Medizin Wurzeln fasste, damals noch nicht 4 . Die Wissenschaft machte rasante Fortschritte, und, um mit diesen mitzuhalten, entstand zunehmend die Notwendigkeit für Ärzte, sich auf beschränkte Gebiete der Gesundheitsversorgung zu fokussieren 5 . Dies führte gemäss Schweizerischer Ärztezeitung (SÄZ) zu einem bedeutenden Zuwachs an sogenannten «Spezialärzten» oder «Spezialisten» und einer kontinuierlichen Abnahme der allgemeintätigen Ärzte, welche Patienten krankheits- und altersunabhängig betreuten6.
So liegt die Frage nahe: Wie wirkte sich diese Spezialisierungstendenz auf die nicht-spezialisierten, allgemeinpraktischen Ärzte konkret aus? Welche Rolle spielten diese «Generalisten» noch in einer zunehmend «spezialisierten» Medizin? Welche Umstände führten dazu, dass diese Allgemeinpraktiker im Jahre 1977 ihre eigene Gesellschaft gründeten, und welche Hindernisse standen ihnen dabei im Weg? Letztere ist die zentrale Frage, welche in dieser Monografie erforscht wird. Das Ziel ist, einerseits Licht auf die Entstehung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin zu werfen, und andererseits zu verstehen, wie die Wahrnehmung der damaligen Geschehnisse durch die Schweizer Ärzteschaft – auf Basis der SÄZ – zu dieser Entwicklung führte und welche Widerstände dabei überwunden wurden.
Nach Erläuterung der angewendeten Methodologie, wird sich Teil I dieser Abfassung zunächst einer kurzen Beschreibung des sozio-ökonomischen und politischen Kontexts der beginnenden 1960er Jahre in der Schweiz widmen. Im Anschluss wird die sich wandelnde Medizinlandschaft des 20. Jahrhunderts, in welcher sich die Allgemeinpraktiker wiederfanden, näher beschrieben und die Lage der damaligen Allgemeinmediziner in der Schweiz analysiert.
Teil II erforscht die Beweggründe seitens der Allgemeinpraktiker sowie des Berufsverbandes der Schweizer Ärzte (FMH), einen Aufschwung der Allgemeinpraktiker und die Gründung der SGAM in der Schweiz zu unterstützen und voranzutreiben.
In Teil III werden – weniger ausführlich – die Entstehung der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (SGAM) und die Widerstände, mit welchen die junge Gesellschaft konfrontiert war, erkundet. Schliesslich folgen in den Schlussfolgerungen eine Zusammenfassung sowie ein Komparativ zur zeitgleichen Entwicklung der Allgemeinmedizin in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, dies zur Kontextualisierung der Geschehnisse in der Schweiz.
Wichtig zu betonen ist, dass die hier erläuterten Definitionen und Beschreibungen grösstenteils aus der Schweizerischen Ärztezeitung und aus den FMH- und SGAM-Protokollen stammen. Im Vordergrund der Darstellung steht die Aufgabe, die damalige, sich teilweise verändernde ärztliche Perspektive sichtbar zu machen und einzuordnen.
Diese Arbeit wurde auf Basis der Schweizerischen Ärztezeitung (SÄZ) von 1960-1980 sowie der Archive der Schweizerischen Ärztegesellschaft FMH (Zentralvorstandssprotokolle von 1960-1987) und der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin SGAM (Generalversammlungs- und Vorstandssitzungsprotokolle von 1977-1987) verfasst, die im Berner Institut für Medizingeschichte lagern. Für eine erste Orientierung waren die kürzeren Beiträge des Allgemeinpraktikers Rudolf Ludwig Meyer (vor allem der dreiteilige Artikel «Die Entwicklung der Allgemeinmedizin in der Schweiz» von 1997/1998) und Rolf Neumann («Entstehungsgeschichte der SGAM», 1987) nützlich. Für die vergleichende Perspektive stütze ich mich auf das Buch von John Fry («General practice and primary health care», 1940s-1980s», 1988) und vor allem auf die Dissertation von Alexander Knortz («Der Stellenwert des Allgemeinmediziners in der Gesundheitspolitik und Gesundheitserziehung
beider deutschen Staaten von 1945 bis zur politischen «Wende», 1989).

Item Type:

Thesis (Dissertation)

Division/Institute:

04 Faculty of Medicine > Pre-clinic Human Medicine > Institute for the History of Medicine

UniBE Contributor:

Steinke, Hubert

Subjects:

600 Technology > 610 Medicine & health

Language:

English

Submitter:

Barbara Franziska Järmann-Bangerter

Date Deposited:

14 Dec 2023 09:26

Last Modified:

14 Dec 2023 09:26

BORIS DOI:

10.48350/190260

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/190260

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