Hochauflösende CO2 Konzentrationsmessungen an antarktischen Eisbohrkernen: Natürliche Variabilität der letzten 800'000 Jahre und Unsicherheiten aufgrund von Prozessen im Eis

Lüthi, Dieter (2009). Hochauflösende CO2 Konzentrationsmessungen an antarktischen Eisbohrkernen: Natürliche Variabilität der letzten 800'000 Jahre und Unsicherheiten aufgrund von Prozessen im Eis (Unpublished). (Dissertation, Universität Bern, Philosophisch–naturwissenschaftliche Fakultät, Physikalisches Institut, Abteilung für Klima– und Umweltphysik)

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Seit 1850 flächendeckend durchgeführte Temperaturmessungen zeigen, dass die Oberflächentemperatur im globalen Mittel zwischen 1906 und 2005 um 0.74 ℃ (± 0.18 ℃) zugenommen hat und, dass 11 der 12 Jahre zwischen 1995 und 2006 zu den 12 wärmsten Jahren der über 150 jährigen Aufzeichnungsgeschichte zählen. Dabei lässt sich zusätzlich feststellen, dass der Trend der letzten 50 Jahre mit 0.13 ℃ Erwärmung pro Jahrzehnt beinahe doppelt so hoch war wie noch für die 100 Jahre davor. Als Folge dieser globalen Erwärmung lassen sich weitere Änderungen innerhalb des Klimasystems beobachten. So wurde beispielsweise während des 20. Jahrhunderts ein Meeresspiegelanstieg von 17 cm, ein sich beschleunigender Rückgang der Meereisbedeckung und der kontinentalen Gletscherausdehnung sowie eine Veränderung regionaler Niederschlagsmengen registriert [IPCC, 2007].
In der Wissenschaft besteht der Konsens, dass diese globale Klimaänderung nicht alleine durch natürliche Schwankungen, wie z.B. Variationen der Sonnenaktivität oder Vulkanausbrüche, erklärt werden kann. Die Ursache liegt vielmehr bei der Verstärkung des natürlichen Treibhauseffektes durch die anthropogene Erhöhung der atmosphärischen Konzentrationen der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan, Lachgas und teilhalogenierten sowie perfluorierten Fluorkohlenwasserstoffen.
Mit der Ausstrahlung des Dokumentarfilms ”An Inconvenient Truth”von Al Gore im September 2006, der Verfassung des Stern-Berichtes über das ökonomische Ausmass des Klimawandels [Stern, 2006], der Veröffentlichung des vierten Sachstandberichtes des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderung (IPCC) im Jahre 2007 und der Verleihung des Friedensnobelpreises je zur Hälfte an Al Gore und ans IPCC im Oktober 2007, ist die Problematik der voranschreitenden Klimaänderung ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Verschiedene Nationen haben in den letzten Jahren eigenständig Programme zur Verminderung des CO2 Ausstosses, dem wichtigsten menschgemachten Treibhausgas, eingeleitet. So hat beispielsweise Deutschland den Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch während der letzten vier Jahre verdoppelt, oder die Schweiz die energietechnische Sanierung des Gebäudeparks mit staatlicher Hilfe gefördert. Auf globalpolitischer Ebene hingegen, steckt die Diskussion, trotz Beginn der sogenannten ”ersten Verpflichtungs-Periode” des Kyoto-Protokolls, bei welchem sich die teilnehmenden Industrieländer binden, die Treibhausgasemissionen zwischen 2008 und 2012 um durchschnittlich 5.2 % gegenüber 1990 zu mindern, noch immer in der Phase der Verhandlung von künftigen Reduktionszielen.
Dass die Reduktion der Treibhausgasemissionen dringend notwendig ist, zeigen Modellrechnungen, welche für das 21. Jahrhundert je nach Treibhausgasemissionsszenario eine durchschnittliche globale Erwärmung von 1.1 bis 6.4 ℃ voraussagen [IPCC, 2007]. Das Verständnis des Klimasystems, auf welchem solche Modellrechnungen basieren, stammt aus wissenschaftlichen Untersuchungen vergangener Veränderungen der Atmosphäre und deren Zusammenhang mit historischen Klimaereignissen. Als Archiv dazu dienen unter anderem polare Eisbohrkerne. Diese erlauben dank der im Eis eingeschlossenen Luft als einziges Klimaarchiv, die direkte Rekonstruktion vergangener Zusammensetzungen der Atmosphäre.
Diese Dissertation beschäftigt sich mit der Untersuchung vergangener Konzentrationen und Variationen des Treibhausgases CO2. Dabei wird einerseits der zuvor bekannte CO2 Verlauf der letzten 650’000 Jahre um zwei weitere Kaltzeit-Warmzeit Klimazyklen auf 800’000 Jahre erweitert und andererseits ein bis anhin unbekannter Vorgang erklärt, der die Zusammensetzung der im Eis eingeschlossenen Luft beeinflusst. Die Messungen dazu erfolgten am jüngsten antarktischen Eisbohrkern, Talos Dome (gebohrt in den Jahren 2004 – 2008), und an den beiden Eisbohrkernen des European Projects for Ice Coring in Antarctica (EPICA), gebohrt in antarktischen Forschungsstationen auf Dome Concordia (Dome C, 1999 – 2005) und in Dronning Maud Land (DML, 2001 – 2006).
In einem ersten einleitenden Teil werden die wichtigsten bisher an polaren Eisbohrkernen durchgeführten CO2 Messungen und die dabei getroffenen Schlussfolgerungen zusammengefasst (Kapitel 2). Dies umfasst unter anderem eine Diskussion der im Vergleich mit CO2 Messungen an antarktischen Eisbohrkernen höher ausfallenden Werte bei Grönlandeis und eine detaillierte Betrachtung der unerwartet tiefen CO2 Konzentrationen während der kleinen Eiszeit (1550 – 1800AD). Dieser Rückblick auf die bisherigen Meilensteine der Erforschung vergangener CO2 Variationen wird durch zusätzliche Messungen ergänzt: Zum einen wird der CO2 Verlauf der letzten 5000 Jahre durch Untersuchungen an Talos Dome Eis bestätigt. Zum anderen erfolgt die ¨Uberprüfung der höchsten je an Eisbohrkernen festgestellten vorindustriellen natürlichen CO2 Konzentrationen von 300 ppmv1 (ca. 330’000 Jahre vor heute, gemessen an Vostok Eis) durch Messungen an EPICA Dome C Eis. Zum dritten werden Messungen an DML präsentiert, die einen möglichen Zusammenhang zwischen nordhemisphärischen Temperatursprüngen, bedingt durch Unterbrechungen der nordatlantischen thermohalinen Zirkulation (Dansgaard-Oeschger Ereignissen), und raschen CO2 Anstiegen während der letzten Kaltzeit zeigen.
Das Kapitel 3 widmet sich in einem ersten Teil der Beschreibung der CO2 Messmethode, die für die im Rahmen dieser Arbeit erzielten Resultate angewendet wurde. Ein zweiter Teil beinhaltet ein in der Vorbereitung steckendes Manuskript über die Entwicklung einer Eismühle. Ein dritter Teil zeigt Herausforderungen und wichtige Eckpunkte, die bei der Entwicklung von Trockenextraktionsverfahren berücksichtigt werden müssen.
Die Veränderung der Zusammensetzung der im Eis eingeschlossenen Luft während des Übergangs von Luftblasen zu Klathraten ist Thema des Kapitels 4. CO2 Messungen in und unterhalb der Blasen-Klathrat Übergangszone der DML, Dome C und Talos Dome Eisbohrkerne ergaben Variationen von bis zu 30 ppmv innerhalb weniger Zentimeter. Diese werden 1ppmv: Teilchen pro eine Million Teilchen durch eine Stratifikation des sich über mehrere hundert Meter erstreckenden Übergangs von Blasen- zu Klathrateis in Kombination mit unterschiedlich starker Diffusion von O2, N2 und CO2 von Blasen zu Klathraten erklärt. Zur Überprüfung dieser Hypothese werden O2/N2 und CO2 Variationen im Zentimeterbereich mit optischen Untersuchungen des Blasen-zu- Klathratverhältnisses verglichen.
Um die Veränderung der Luftzusammensetzung in Eisbohrkernen während der Lagerung dreht sich das Kapitel 5. Dabei wird das selektive Ausgasen von O2, N2 und CO2 diskutiert. Die Berechnung mittels eindimensionalem Diffusionsmodell ergibt eine Fraktionierung der in den äussersten Millimetern des Eisbohrkerns eingeschlossenen Luft. Die Eindringtiefe der Fraktionierung ist abhängig von der Lagerungstemperatur und der Lagerungsdauer und für die einzelnen Luftmoleküle unterschiedlich, weswegen ein Diagramm zum Herauslesen der entsprechenden Schichtdicken, die bei der Vorbereitung der Proben entfernt werden müssen, angegeben wird.
Kapitel 6 besteht aus der Publikation der CO2 Messungen am EPICA Dome C Kern des Zeitintervalls zwischen 650’000 und 800’000 Jahre. Diese erweitern die CO2 Datenreihen der letzten 420’000 Jahren, gemessen an Vostok [Petit et al., 1999], und des Zeitintervalls zwischen 390’000 und 650’000 Jahren (EPICA Dome C) [Siegenthaler et al., 2005b] um zwei weitere auf insgesamt acht Kaltzeit-Warmzeit Zyklen. Die neuen Daten bestätigen einerseits den engen Zusammenhang zwischen dem CO2- und dem antarktischen Temperaturverlauf, welcher bereits bei den jüngeren sechs Zyklen festgestellt wurde. Sie weisen aber andererseits zwischen 650’000 und 750’000 Jahren vor heute um ca. 15 ppmv tiefere CO2 Konzentrationen auf als es der Vergleich mit dem Temperaturverlauf erwarten lässt. Die Publikation umfasst zwei weitere interessante Phänomene: Zum einen wird durch die Messung der tiefsten je an Eisbohrkernen festgestellten natürlichen CO2 Konzentration von vor ca. 667’000 Jahren vor heute der natürliche CO2 Schwankungsbereich des späten Quartärs auf 172 – 300 ppmv erweitert. Zum anderen zeigen die neuen Daten vor über 750’000 Jahren CO2 Variationen, welche während der letzten Kaltzeit in Verbindung mit Dansgaard-Oeschger Ereignissen beobachtet werden. Dies lässt vermuten, dass dieses klimatische Phänomen bereits vor mehreren Jahrhunderttausenden aufgetreten ist.
Mit Dansgaard-Oeschger Ereignissen und den dazu gegenläufigen antarktischen Temperaturvariationen beschäftigt sich auch die Publikation der EPICA community members [2006] in Anhang A.1. Die Publikation von Jouzel et al. [2007] in Anhang A.2 diskutiert den antarktischen Temperaturverlauf der letzten 800’000 Jahre gemessen an EPICA Dome C Eis. Abgerundet wird die Arbeit durch die Studie von Fischer et al. [in press] in Anhang A.3, welche den Einfluss des südlichen Ozeans auf die atmosphärische CO2 Konzentration aufgreift.

Item Type:

Thesis (Dissertation)

Division/Institute:

08 Faculty of Science > Physics Institute > Climate and Environmental Physics

UniBE Contributor:

Lüthi, Dieter, Stocker, Thomas

Subjects:

500 Science > 530 Physics

Language:

German

Submitter:

Marceline Brodmann

Date Deposited:

08 Mar 2024 15:26

Last Modified:

08 Mar 2024 15:26

BORIS DOI:

10.48350/192503

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/192503

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