Buser, Matthias; Nagel, Siegfried (2021). Soziale Integration in Schweizer Fussballvereinen Universität Bern, Philosophisch-humanwissenschaftliche Fakultät, Institut für Sportwissenschaft
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Die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund (MMH) durch Sportvereine spielt in
integrationspolitischen Debatten und im Selbstverständnis von Sportverbänden eine wichtige Rolle.
Insbesondere Fussballvereinen gelingt es, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund als aktive
Mitglieder zu gewinnen. Die reine Mitgliedschaft sagt aber noch nichts über die Qualität der
Einbindung im Verein aus. Das Projekt «Soziale Integration in Schweizer Fussballvereinen» fragt
deshalb (1) nach der sozialen Integration von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund im
Verein und damit verbundenen relevanten Faktoren sowie (2) nach integrationsförderlichen Initiativen
und dafür relevanten Entstehungsbedingungen in den Vereinen.
Die Studie folgt einem pluralistischen Verständnis von Integration, welches wechselseitige
Anpassungen aller Akteure betont. Soziale Integration wird dabei nach Hartmut Esser (2009) als die
Einbindung von Mitgliedern in Fussballvereinen konzeptualisiert, wobei die vier interdependenten
Integrationsdimensionen Identifikation, Interaktion, Platzierung und Kulturation unterschieden
werden. Es wird angenommen, dass für die soziale Integration von Vereinsmitgliedern sowie für die
Entstehung von integrationsförderlichen Bemühungen der Vereine sowohl individuelle Merkmale der
Mitglieder wie auch die Strukturen der Teams (z.B. Teamklima) und der Vereine (z.B. Vereinsziele)
relevant sind.
Die Studie basiert auf qualitativen und quantitativen Daten und berücksichtigt Aussagen von zentralen
Funktionär:innen sowie Vereinsmitgliedern mit und ohne Migrationshintergrund. Die quantitative
Teilstudie basiert auf Daten aus 42 Schweizer Fussballvereinen in der Deutsch- und Westschweiz, 145
Teams sowie 1839 Vereinsmitgliedern. Die qualitative Teilstudie basiert auf 11
Fokusgruppeninterviews mit 22 MMH zur sozialen Integration im Verein und in die Gesellschaft sowie
auf 18 Fallstudien mit insgesamt 44 Experteninterviews zur Entstehung und Umsetzung von
integrativen Bemühungen in den Vereinen. Dabei wurde auch das Projekt «Together – Fussball
vereint» beleuchtet.
Die Daten verweisen auf eine hohe Vielfalt in den Fussballvereinen. MMH aller
Einwanderungsgenerationen und unterschiedlichster Herkunft finden den Weg in die Vereine. Auch
die Vereine zeichnen sich durch eine hohe Vielfalt aus. Angesichts dieser Vielfalt ist festzuhalten, dass
Handlungsempfehlungen nicht pauschal für alle Mitglieder und Vereine gelten können. Insgesamt zeigt
sich eine hohe soziale Integration aller Vereinsmitglieder, und zwar unabhängig von der
Migrationsgeneration. Fussballvereinsmitglieder sind in gelingende Beziehungen eingebunden
(Interaktion), wissen über zentrale Normen und Gewohnheiten in den Vereinen Bescheid (Kulturation)
und identifizieren sich stark mit dem Verein (Identifikation). Die Einbindung in vereinspolitische
Prozesse (Platzierung) fällt hingegen weniger stark aus. Wie bei Mitgliedern im Allgemeinen gelingt
auch die soziale Integration von Frauen (mit Migrationshintergrund). Jedoch finden gerade Frauen, die
selbst in die Schweiz eingewandert sind, selten den Weg in die Vereine.
Den Sprachfähigkeiten, der individuellen Vereinsbiografie und der Geselligkeit in den Vereinen kommt
eine hohe Bedeutung für die soziale Integration zu. Gerade in den Teams werden vielfältige soziale
Beziehungen aufgebaut, welche oft als soziales Netzwerk über den Verein hinausreichen. Viele
Personen berichten von der Teilnahme an geselligen Anlässen und ausgeprägte gesellige Strukturen
wie beispielsweise Teamanlässe, regelmässiges Zusammensitzen nach Trainings oder ein entspanntes
Teamklima sind verbunden mit mehr sozialer Integration aller Mitglieder. Sprachbarrieren werden
zwar kaum als Hindernisse zur Teilnahme am Training beschrieben, jedoch verhindern sie die
Teilnahme an den geselligen Interaktionsgelegenheiten. Viele Personen berichten davon, durch den
Verein die Sprachfähigkeiten verbessert zu haben. Mitglieder, welche lange im Verein sind, ein
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Ehrenamt ausüben und sich im Verein wohl fühlen, sind stärker im Verein integriert. MMH weisen
jedoch kürzere Mitgliedschaftsdauern auf und sind seltener in Ehrenämter eingebunden. MMH sind
ausserdem deutlich öfter von Diskriminierung im Verein betroffen. Jedes zehnte immigrierte Mitglied
berichtet davon. Solche Erfahrungen gehen mit weniger Integration im Verein einher.
In vielen Teams und Vereinen ist die Integration von MMH nur selten ein Thema. Zahlreiche
Funktionär:innen in den Vereinen und Teams sind der Meinung, dass die Mitglieder mit
Migrationshintergrund vollständig integriert sind oder wollen keine Ungleichbehandlung von
Mitgliedern. Angesichts der hohen sozialen Integration aller Mitglieder in den Vereinen kann es als
Vorteil des Fussballs gelten, dass MMH erfolgreich eingebunden werden, ohne dass dies explizit
thematisiert wird. Dieser Ansatz läuft jedoch Gefahr, die verschiedenen Herausforderungen von MMH
zu übersehen, etwa die bereits erwähnten Sprachbarrieren und Diskriminierungserfahrungen.
Ausserdem verhindert dieser Ansatz, dass einseitige Anpassungserwartungen in den Vereinen
reflektiert und wahrgenommene funktionale Vorteile der Einbindung von MMH – etwa die Gewinnung
talentierter Spieler:innen oder motivierter Trainer:innen – noch stärker genutzt werden.
Vereine, welche durch integrative Bemühungen auffallen, wurden oft im Zusammenhang mit der
Fluchtwelle ab 2015 aktiv. Diese Vereine wurden von externen Akteuren – insbesondere sozialen
Institutionen – kontaktiert und engagierte Funktionär:innen haben das Thema im Verein behandelt.
Dies gilt auch für die Vereine, welche beim Projekt «Together – Fussball vereint» teilgenommen haben.
Das Projekt hat dazu geführt, dass das Engagement für geflüchtete Menschen offizialisiert und
vermehrt auf Vereinsebene kommuniziert wurde, während dem Einfluss auf die alltägliche integrative
Praxis keine grosse Bedeutung zukam. Die engagierten Personen haben die geflüchteten Personen bei
den ersten Schritten im Verein begleitet, haben organisiert, dass die Mitgliederbeiträge gedeckt
werden und haben die Bemühungen gegenüber skeptischen Mitgliedern verteidigt. Viele Vereine
erhofften sich von den Verbänden und den Behörden – in unterschiedlichen Formen – eine noch
ausgeprägtere Anerkennung sowie finanzielle und inhaltliche Unterstützung für ihr soziales
Engagement im Breitensport.
Es bietet sich an, die Erkenntnisse der Studie über Ausbildungsangebote in die Vereine und in die
Teams zu tragen. Den Trainer:innen kommt angesichts der hohen Bedeutung des Teams für die soziale
Integration und ihrer Vorbildrolle im Umgang mit kultureller Vielfalt eine zentrale Rolle zu. Um den
sozialen Aufgaben im Breitensport gerecht zu werden, macht es Sinn, soziale und interkulturelle
Kompetenzen in der Grundausbildung von Trainer:innen zu fördern.
Um eine Auseinandersetzung mit bestehenden Herausforderungen und die Nachhaltigkeit von
integrativen Bemühungen in den Vereinen zu fördern, bietet es sich an, das Thema Integration in
einem nationalen Label zu verankern. Finanzielle und personelle Unterstützung für soziale
Bemühungen können Anreize bieten, dass Vereine sich zertifizieren lassen. Gleichzeitig könnten
Vereine für den Besuch von Weiterbildungen im Bereich von sozialen und interkulturellen
Kompetenzen verpflichtet werden. Interessierte und engagierte Funktionär:innen in den Vereinen
bieten Anknüpfungspunkte für ein solches Label.
Gleichzeitig können auch der Schweizerische Fussballverband und seine Regionalverbände in die
Pflicht genommen werden. Angesichts der hohen Ziele im Bereich der Integration im Fussball sollte
der Verband den Aufbau zusätzlicher Ressourcen im Bereich der Integration und Inklusion von MMH
in Betracht ziehen. Damit kann der Verband als progressiver Akteur voranschreiten und seine Vereine
in ihrem sozialen Engagement durch professionelle Strukturen auf Verbandsebene unterstützen.
Item Type: |
Report (Report) |
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Division/Institute: |
07 Faculty of Human Sciences > Institute of Sport Science (ISPW) 07 Faculty of Human Sciences > Institute of Sport Science (ISPW) > Sport Sociology and Management |
UniBE Contributor: |
Buser, Matthias, Nagel, Siegfried |
Subjects: |
700 Arts > 790 Sports, games & entertainment |
Publisher: |
Universität Bern, Philosophisch-humanwissenschaftliche Fakultät, Institut für Sportwissenschaft |
Language: |
German |
Submitter: |
Edith Desideria Imthurn |
Date Deposited: |
12 Feb 2024 15:04 |
Last Modified: |
04 Mar 2024 14:11 |
BORIS DOI: |
10.48350/192817 |
URI: |
https://boris.unibe.ch/id/eprint/192817 |