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Literatur und Kunst

Ausgesparte Erinnerungen

Thomas Mann im Nachkriegskino

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In der Adenauer-Ära wurden aus den Thomas-Mann-Verfilmungen alle jüdischen Konnotationen getilgt. Ein Szenenbild aus «Königliche Hoheit» mit Ruth Leuwerik.
In der Adenauer-Ära wurden aus den Thomas-Mann-Verfilmungen alle jüdischen Konnotationen getilgt. Ein Szenenbild aus «Königliche Hoheit» mit Ruth Leuwerik. (Bild: Keystone / Interfoto)
Für die kulturelle Seite der deutschen Vergangenheitspolitik war Thomas Mann wichtiger als sonst ein Exilliterat. Er verkörperte eine Tradition, die in die Zeit weit vor 1933 zurückreichte. Das Bedürfnis, diese Tradition von der jüngsten Vergangenheit abzusetzen, zeigt sich an der Aufbereitung seines Œuvres im Film.
Yahya Elsaghe

Nie zuvor und auch später nie wieder gelangten so viele Thomas-Mann-Verfilmungen ins Kino wie während der Ära Adenauer. Dabei blieben freilich dem Kinopublikum Erinnerungen an das finsterste Kapitel der deutschen Vergangenheit erspart, so nahe solche Assoziationen auch gelegen hätten. In allen seinerzeit verfilmten Texten nämlich kommen jüdische Figuren vor: In «Königliche Hoheit» ein Dr. Sammet; in den «Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull» ein Halsabschneider von Bankier, der Krulls Verarmung mit zu verantworten hat; in den «Buddenbrooks» die Hagenströms, die Konkurrenten der Protagonisten; in «Tonio Kröger» ein Erwin Jimmerthal, wiederum der Rivale des Helden. Und in «Wälsungenblut» ist das ganze Milieu jüdisch.

Zum Verschwinden gebracht

In den Verfilmungen waren alle diese Juden verschwunden. Oder vielmehr wurden sie sukzessive zum Verschwinden gebracht. Als Probe aufs Exempel hierfür kann die allererste Verfilmung dienen: Für den Film «Königliche Hoheit» (1953; Regie: Harald Braun) war die Figur eines Dr. Sammet zunächst unter diesem Namen noch vorgesehen. So in einem ersten Treatment, obgleich auch dessen Verfasser sich vornahm, das «nationale Unterbewusstsein» des Publikums zu schonen. Dennoch übernahm er einen Romandialog, in dem Sammet, nach seinen Erfahrungen mit Diskriminierung gefragt, wenig beschönigend antwortet.

Im Drehbuch, das Hans Hömberg und Georg Hurdalek auf der Grundlage dieses Treatments schrieben – unter Mitarbeit von Erika Mann –, sucht man dergleichen vergebens. Sammet kommt als solcher, das heisst unter diesem typisch jüdischen Namen, gar nicht mehr vor. Er figuriert nur noch als «Arzt» oder «Herr Doktor». Und während sich eine Besetzungsliste erhalten hat, in der jeder Rolle die Namen der Schauspieler zugeordnet sind, so auch «Dr. Sammet Oskar Dimroth», wurden im Vorspann nur noch die blossen Schauspielernamen genannt, wie eben Oskar Dimroth. Dieser war übrigens der älteren Hälfte des deutschen Publikums aus der nationalsozialistischen Unterhaltungsfilmindustrie der Kriegszeit vertraut. Die Besetzung führte folglich keinerlei jüdische Konnotationen mit sich. Entsprechend schlecht passte sie auf den Steckbrief der Romanfigur. Weder fiel Dimroths Nase auffallend «flach auf den Schnurrbart ab», noch trug er sonstige Merkmale, die den jüdischen Mediziner im Roman kennzeichnen.

Aus dem Schicksal, das der Figur Sammet bei ihrer cineastischen Verwertung widerfuhr, lassen sich die drei Operationen abstrahieren, mittels deren die Nachkriegsverfilmungen das Publikum mit Vergegenwärtigungen der jüdisch-deutschen Geschichte verschonten: durch Streichung oder Verwischung der betreffenden Rollen, gegebenenfalls durch deren jeweilige Besetzung und endlich durch ihre Umbenennungen.

Entweder – besonders makaber – wurden jüdische Rollen kurzerhand getilgt, oder aber sie waren nicht mehr als solche identifizierbar. Ersatzlos entfielen zum Beispiel jener für Krull fatale Halsabschneider oder auch Laura Hagenström-Semlinger. Demgemäss erhielt Tony Buddenbrook keine Gelegenheit mehr, gegen deren semitische Herkunft zu sticheln, sie auf ihren hierauf transparenten Mädchennamen festzulegen und ihr obendrein einen vorsätzlich falschen Vornamen anzuhängen, denselben, Sara, der den deutschen Jüdinnen tatsächlich aufgezwungen wurde – unter massgeblicher Mitwirkung von Adenauers späterem Kanzleramtschef; noch auch brauchte Thomas Buddenbrook seine Schwester dafür zu tadeln: «‹Wie wäre Sara Semlinger wohl entbehrlich?› ‹Sie heisst übrigens Laura, mein Kind, man muss gerecht sein.›»

Wo die Rollen deutscher Juden doch erhalten blieben, waren diese eben als solche, als Juden, nicht mehr kenntlich. So liess Rolf Thiele in seiner «Tonio Kröger»-Verfilmung (1964) ehedem entscheidende Informationen weg, etwa dass Erwin Jimmerthal Sohn eines Bankdirektors zu sein hat. Zur «Aufnordung» der früher eindeutig jüdischen Rollen diente ausserdem, wie bei Dimroth gesehen, der Cast. Frank M. Pingel, mit dem der Part des Erwin Jimmerthal besetzt war, hatte weder «krumme Beine» noch «Schlitzaugen». Und Wolfgang Wahl, der in Alfred Weidenmanns «Buddenbrooks»-Adaption (1959) den prominentesten Rivalen der Buddenbrooks spielte, Hermann Hagenström, hatte keine «platt auf der Oberlippe» liegende Nase.

Das Bedürfnis, alles Jüdische zu beseitigen, verriet sich naturgemäss nirgendwo so unverblümt wie in Thieles Verfilmung von «Wälsungenblut» (1965), wo deutsche Juden ja das Hauptpersonal stellen. Im Zentrum der Handlung stehen schwerreiche Juden mit dem mehrfach signifikanten Namen Aarenhold: eine Erinnerung an eine alttestamentliche Urfigur, Aaron; ein Versuch, solch eine Erinnerung zu löschen, «Aaren», «Aarenhold»; durch die Ironie dieses zweiten Kompositionsglieds auch die Malice der Namensträger zu camouflieren. Denn hold sind diese Juden gerade nicht. Am allerwenigsten sind sie es den Deutschen, wie sie in Gestalt eines gutmütigen Adligen namens von Beckerath zum Opfer ihrer Bösartigkeit werden.

Dieses Arrangement erfuhr unter Erika Manns Mitwirkung eine nun wirklich bemerkenswerte Metamorphose. Für deren Gewagtheit mag vielleicht schon bezeichnend sein, dass die Autorschaft des Drehbuchs vertuscht werden sollte. Denn nicht nur, dass Erika Manns Koautor dafür lediglich unter einem Pseudonym Verantwortung übernahm: Im Unterschied zu allen vier bisherigen Fällen bestand sie hier darauf, dass ihr Name gänzlich verschwiegen blieb. Nach dem also gewissermassen autorlosen Drehbuch wurde Manns Beitrag zur damals bereits so genannten Judenfrage umgeschrieben zu einem ganz anders gearteten Antagonismus, ohne dass auch nur ein einziger Rezensent daran Anstoss genommen hätte.

Die Attacke der Juden gegen einen adligen Deutschen oder Germanen, wie ihr spöttischer Titel für ihn lautet, um so das ethnische Motiv ihrer Aggression desto stärker hervorzutreiben, auch ihre Verachtung für all die «blonden Bürger des Landes» – diese Attacke wurde in der Verfilmung zum Anschlag einer adligen Familie auf einen deutschen Besitzbürger, von dem denn in einem sonst wortwörtlich übernommenen Dialog nicht mehr als einem Germanen, sondern nur noch süffisant als einem «Herrn» die Rede war. Der Adel wechselte somit auf die Täterposition. An die Stelle der Anmassungen seitens der jüdischen nouveaux riches – noch Vater Aarenhold «war ein Wurm gewesen, eine Laus, jawohl» – rückten Adelsdünkel und die Demütigung eines nun seinerseits neureichen Bürgers. Dessen Grossvater, hatte er nun zu gestehen, sei eine Laus gewesen und ein Wurm. Sein Vater hatte nun immensen Reichtum genau so erlangt wie in der Novelle Herr Aarenhold. Diese Umkodierung des rassistischen Handlungsmusters in einen Standeskonflikt hatte notgedrungen unmittelbare Auswirkungen auf die Namengebung. Das Opfer verlor sein Adelsprädikat. Es hiess jetzt schlicht und einfach Beckerath. Die Täter dagegen hiessen nun Arnstatt, auch ihre Bekannten nicht mehr Erlanger – ein typisch jüdischer Herkunftsname –, sondern Donnersmarck (nachdem sie im Drehbuch noch Truchsess geheissen hatten).

Quadratur des Kreises

Dem Vorsatz, das Milieu von «Wälsungenblut» zu arisieren, gehorchte auch die Besetzung des nunmehr judenfreien Personals. Die Rollen der Arnstatts wurden mit Schauspielern besetzt, die weder physiognomisch noch von ihrer Geschichte her irgendwie jüdisch belastbar waren. Darüber hinaus war das Casting der männlichen Hauptrolle nicht etwa an den Vorgaben des Porträts orientiert, das der Novellentext für Siegmund Aarenhold liefert. Vielmehr wurde die Besetzung durch eine andere, besonders erfolgreiche Mann-Verfilmung geleitet. Michael Maien in der Rolle des Siegmund Graf Arnstatt sollte unverkennbar an den Hauptdarsteller der «Felix Krull»-Verfilmung erinnern (1957; Regie: Kurt Hoffmann). Und nach Ausweis der Rezensionen erinnerte er das Publikum denn auch prompt an Horst Buchholz, der seinerseits keinerlei Berührungspunkte mit dem Judentum der Aarenholds hatte, weder von seinen bisherigen Filmrollen her noch auch nur biografisch.

So gelang eine Quadratur des Kreises, die die Mann-Forschung zu bewerkstelligen immer nur versuchte. Der Film schaffte es tatsächlich, die berüchtigte Novelle von jedem Verdacht auf Antisemitismus zu entlasten, im Rahmen einer auch kulturell betriebenen Vergangenheitspolitik. Nur wäre es fahrlässig, darin bloss ein historisches und als solches überwundenes Phänomen sehen zu wollen, das allein mit den Sachzwängen der Adenauer-Zeit zu tun hätte. Im Gegenteil. Die bundesdeutschen Mann-Verfilmungen der folgenden Jahrzehnte, und das müsste einem erst recht zu denken geben, liegen exakt auf der Linie der ersten Nachkriegsadaptionen.

Die unselige Tradition fortgesetzt

Dafür nur ein Beispiel aus der allerjüngsten Verfilmung: Heinrich Breloer, der nicht umsonst zu Protokoll gab, dass Weidenmanns «Buddenbrooks» zu seinen formativen Kinoerlebnissen zählt, hat bei seiner eigenen Verfilmung des Romans (2008) die jüdischen Merkmale der Hagenströms seinerseits so gut wie vollständig beseitigt. Symptomatisch dafür wäre beispielsweise seine Bereinigung wiederum jenes Dialogs, in dem Tony Buddenbrook über Laura Hagenström herzieht, um von ihrem Bruder wie ein unartiges Kind zurechtgewiesen zu werden. Davon blieb in Breloers Verfilmung nur etwas von der Zurechtweisung stehen, die, so isoliert, als solche nicht mehr erkennbar ist und noch dazu in einen ganz anderen Kontext gestellt wird. «Sie sind tüchtig, die Hagenströms», anerkennt Tonys Mutter in einer Ballhausszene ihrem Mann gegenüber – übrigens unter etlichen Reminiszenzen an Weidenmanns Verfilmung –, um dem hinzuzufügen: «Man muss gerecht bleiben»; wobei das ungenau zitierte Verb, «gerecht bleiben» statt «sein», geradezu zynisch wirkt angesichts der hier vorgenommenen Ummodelung der angeblich konstant geübten Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit nämlich lassen die Buddenbrooks seniores den Hagenströms in einem Moment widerfahren, da eine Generation weiter unten sich zwischen den beiden verfeindeten Familien eine Beziehung anbahnt, für die man so im Roman keine, aber auch wirklich gar keine Anhaltspunkte fände. Die Worte «man muss gerecht bleiben» werden am Rand einer Tanzfläche gesprochen, auf der Tony Buddenbrook und Hermann Hagenström miteinander zu schäkern beginnen.

Nicht dass im Roman den Interaktionen zwischen den beiden sexuelle Energien gänzlich abgingen. Sie sind dort sehr wohl im Spiel. Nur gehorcht dieses ganz anderen Regeln, welche aus dem Repertoire antisemitischer Zwangsvorstellungen nur allzu bekannt sind. Die Aspiration der neu zugezogenen Hagenströms auf das soziale Kapital der alteingesessenen Patrizier findet im Roman ihre persönlich-libidinöse Entsprechung in einem völlig unerwiderten Begehren, das Hermann Hagenström von Kindheit an auf Tony Buddenbrook richtet. Daran erinnert er sie folgerichtig, als er den Stammsitz ihrer Familie erwirbt und ihr dabei «unanständig und unerträglich» nahekommt.

Wiederkehr des Verdrängten

Solche Übergriffigkeiten des begehrlichen Juden hat Breloer in ein ganz anderes Narrativ transkribiert. Hagenströms im Roman einseitiges Begehren wird im Film erwidert. Er und Tony Buddenbrook sind oder wären nun das Traumpaar schlechthin. Als der passende, aber dennoch versagte Mann der stattdessen in ihren zwei, drei Ehen unglücklich gewordenen Tony verdoppelt er eine eigentlich schon einmal vergebene Funktion. Er rückt in eine Position auf, die vom Roman her immer schon ein Morten Schwarzkopf besetzt hält; nur dass das bei Schwarzkopf noch gegebene Problem der Mésalliance in dieser ökonomischen Form bei Hermann Hagenström entfiele.

Das entbehrt nicht der Pikanterie. Denn Schwarzkopf, den ausgerechnet ein Hagenström so gewissermassen übertrifft oder mit dem er nunmehr zumindest in eine Äquivalenzbeziehung zu stehen kommt, nimmt unter dem Romanpersonal die Extremposition eines Ultragermanen ein. Nachfahre eines Norwegers und «so blond wie möglich», steht er dort, im Roman, dem Semiten Hagenström diametral gegenüber. Dessen Name erhält im Film, durch jene Ebenbürtigkeit mit dem Hypergermanen Schwarzkopf, gleichsam eine andere Betonung. Statt mit seiner ersten Hälfte auf den Schurken im «Ring des Nibelungen» zu verweisen, bringt er nun sozusagen sein schwedisches Suffix zur Geltung.

Die antisemitischen Animositäten, die der Roman wie Manns Frühwerk überhaupt zu schüren half, sind somit überschrieben durch die Trauer um eine grosse Liebe, die nicht gelebt werden durfte. Und die Spannungen, die sich aus den erfolgreichen Assimilationsversuchen deutscher Juden ergaben, bleiben bis auf den letzten Gedächtnisrest verdrängt; und zwar mit dem erwartbaren Effekt, dass das Verdrängte auch innerhalb der Verfilmungen selbst wiederkehren muss, in mutierter Form und an versetzter Stelle. Aber das stünde auf einem anderen Blatt.

Yahya Elsaghe ist Ordinarius für deutsche Literatur an der Universität Bern. 2010 erschien im Verlag de Gruyter seine Studie «Krankheit und Matriarchat. Thomas Manns Betrogene im Kontext».

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