Di Blasi, Luca (2015). Vielfalt und Verschiedenheit. Zur Gegenstrebigkeit der Diversität. In: Pohl, Peter C.; Siebenpfeiffer, Hania (eds.) Diversity Trouble. Kaleidogramme: Vol. 126 (29- 43). Berlin: Kadmos
Text
ldb_Vielfalt_und_Verschiedenheit.pdf - Published Version Restricted to registered users only Available under License Publisher holds Copyright. Download (237kB) |
Der Ausdruck Diversität ist ambivalent. Er kann Mannigfaltigkeit, Vielfalt, Vielfältigkeit ebenso wie Verschiedenartigkeit oder Verschiedenheit meinen.
Fokussiert man die Aufmerksamkeit auf die Spannung zwischen Vielfalt und Verschiedenheit, dann geraten jene in den Blick, die als Nicht-Diskriminierte und Unmarkierte in dieser Unterscheidung einen merkwürdigen Zwischenstatus haben, weil sie zur Diversität sowohl dazu- als auch nicht dazugehören. Sie gehören der Diversität im Sinne von Vielfalt an, nicht aber zur Diversität im Sinne von Verschiedenheit. Diesen ›Anderen der Verschiedenen‹ werde ich mich im ersten Teil über den Begriff der Unmarkiertheit annähern. Dabei wird sich zeigen, dass auch dieser Begriff zumindest in einem doppelten Sinne verstanden werden kann. Er kann auf eine bestimmte Gruppe beschränkt werden (jene, die nicht negativ markiert und in diesem Sinne nicht diskriminiert und im Sinne der Diversity Studies nicht ›verschieden‹ sind). Dem steht ein anderes Verständnis gegenüber, das durch Niklas Luhmann ein ussreich wurde und nach dem Unmarkiertheit die Grundlage aller Beobachtungen bildet. Die erste Möglichkeit betont die Verschiedenheit und erscheint politisch oder politisierend, die zweite dagegen löst den Unterschied zwischen den Verschiedenen und den An- deren der Verschiedenen (und damit die Spannung zwischen Vielfalt und Verschiedenheit) re exiv auf und erscheint depolitisierend.
Das Lateinische unterstreicht diesen Unterschied noch, denn diversitas bedeutet neben Ver- schiedenheit auch Widerspruch oder Gegensatz, was naturgemäß etwas anderes voraussetzt, dem widersprochen wird.
Die gleiche Spannung zwischen Reflexion und Politisierung lässt sich, wie ich im zweiten Schritt zu zeigen versuche, anhand des Begriffs ›Ausnahme‹ vertiefen. Kritische Diskurse und Praxen kämpfen mit dem Widerspruch, dass sie im Sinne einer emanzipatorischen Politik binäre Unterscheidungen (temporär) invertieren oder sich (strategischer) Essentialismen bedienen, damit aber das, was sie bekämpfen, bis zu einem gewissen Grad prolongieren. Der Vorwurf der Selbstwidersprüchlichkeit, der sich hier erheben lässt, erscheint aber seinerseits problematisch, weil er eine (depolitisierende) Nivellierung von relevanten Unterschieden darstellt.
Die Spannung zwischen Vielfalt und Verschiedenheit, zwischen Reflexion und Politisierung wurzelt tief und reicht an grundlegende Differenzen der abendländischen Religions- und Philosophiegeschichte heran: Werden und Sein, Geschichtlichkeit und Transzendenz, Kampf und Frieden, Nomadentum und Zielgerichtetheit. Im Anschluss an Gedanken von Derrida möchte ich im letzten Teil dafür plädieren, diese Spannung offen zu halten und auszuhalten und der Versuchung zu widerstehen, sie in die eine oder andere Richtung aufzulösen.
Item Type: |
Book Section (Book Chapter) |
---|---|
Division/Institute: |
01 Faculty of Theology > Department of Protestant Theology [discontinued] > Institute of Systematic Theology [discontinued] > Dogmatics and the History of Philosophy [discontinued] |
UniBE Contributor: |
Di Blasi, Luca Daniele |
Subjects: |
100 Philosophy > 190 Modern western philosophy |
ISBN: |
978-3-86599-266-6 |
Series: |
Kaleidogramme |
Publisher: |
Kadmos |
Language: |
German |
Submitter: |
Luca Daniele Di Blasi |
Date Deposited: |
29 Aug 2016 11:09 |
Last Modified: |
05 Dec 2022 14:57 |
BORIS DOI: |
10.7892/boris.85962 |
URI: |
https://boris.unibe.ch/id/eprint/85962 |