Rohr, Christian (2018). Die Wurzeln des Schweizer Humanitarismus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Baumeister, Miriam; Brückner, Thomas; Sonnack, Patrick (eds.) Wo liegt die „Humanitäre Schweiz“? Eine Spurensuche in 10 Episoden (pp. 19-40). Frankfurt am Main/New York: Campus
Full text not available from this repository.Solidarität in Krisenzeiten ist seit jeher in der Menschheitsgeschichte eines der wichtigsten und effizientesten Mittel, um diese besonderen Herausforderungen einigermassen bewältigen zu können, egal ob es sich dabei um Hunger, Seuchen, Kriege oder extreme Naturereignisse handelte. Allerdings zeigt der Blick zurück in das Mittelalter und in die Frühe Neuzeit auch, dass diese Solidarität nicht immer selbstverständlich war und mitunter durch Urkunden „von oben angeordnet“ werden musste. Um 1800 erlebten humanitäre und allgemein philanthropische Unternehmungen eine neue Dimension: Dies liegt zum einen an schon bestehenden geistigen Grundhaltungen, wobei hier das besonders in der reformiert-calvinistischen Kirche verbreitete Wohltätertum gegenüber armen und sonstwie in Not geratenen Personen durch das Gedankengut der Aufklärung offenbar noch verstärkt wurde. Zum anderen stellten die Umwälzungen in der Zeit der Französischen Revolution und der darauffolgenden Koalitionskriege viele Regionen vor schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Probleme, die neue Dimensionen von Solidarität erforderten. Dies betraf insbesondere die Hilfe für die von den Kriegsereignissen betroffenen Menschen in Mitteldeutschland (Götz/Palmowski 2017). In der Schweiz waren es hingegen v.a. extreme Naturereignisse, welche zu einer erhöhten Solidarität und Spendenbereitschaft führten, beginnend mit dem verheerenden Bergsturz von Goldau 1806. Dass wohltätige Hilfeleistung bei solchen Ereignissen leichter zu erbringen war, wenn nur einen kleine Region betroffen war, als wenn es sich um eine flächendeckende Krise handelte, zeigt das Beispiel der Hungerkrise von 1816/17 in der Schweiz. Diese wurde durch den Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien (1815) ausgelöst und führte in der Folge zu einem „Jahr ohne Sommer“ und damit schweren Missernten in der gesamten Schweiz und in den angrenzenden Regionen. Verstärkt und verlängert wurde diese Krisensituation durch einen extrem schnee- und lawinenreichen Winter 1816/17 sowie zahlreiche Überschwemmungen im Frühling 1817. Solidarität und Hilfeleistungen für die Ärmsten waren damals ebenso anzutreffen wie Wucherpreise für Getreide und kantonale Abschottung (Krämer 2015). Auch in den Jahrzehnten danach waren es zumeist die extremen Naturereignisse, welche Wellen der Solidarität hervorriefen. Der Blick auf ebendiese Ausnahmesituationen steht im Zentrum des Beitrags, wobei der Bogen bis zu den schweren Überschwemmungen von 1868 gespannt wird, die gleichzeitig eine erste Bewährungsprobe für den jungen Schweizer Bundesstaat darstellte.
Item Type: |
Book Section (Book Chapter) |
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Division/Institute: |
06 Faculty of Humanities > Department of History and Archaeology > Institute of History 06 Faculty of Humanities > Department of History and Archaeology > Institute of History > Economic, Social and Environmental History |
UniBE Contributor: |
Rohr, Christian |
Subjects: |
900 History 900 History > 940 History of Europe |
ISBN: |
978-3-593-50957-0 |
Publisher: |
Campus |
Language: |
German |
Submitter: |
Christian Rohr |
Date Deposited: |
15 Nov 2018 16:00 |
Last Modified: |
05 Dec 2022 15:19 |
Uncontrolled Keywords: |
Naturkatastrophen, Schweiz, humanitäre Hilfe, Solidarität |
URI: |
https://boris.unibe.ch/id/eprint/121225 |