Die Geburt des Verlegers ist der Tod des Komponisten: Zum Verhältnis von Autor, Werk und Edition in der Musikgeschichte

Wegner, Sascha (30 November 2019). Die Geburt des Verlegers ist der Tod des Komponisten: Zum Verhältnis von Autor, Werk und Edition in der Musikgeschichte (Unpublished). In: 2. Tagung des Fachforums „Angewandte Künste – Schatzkunst, Interieur und Materielle Kultur“ Diskursfeld Angewandte Künste II: Das Problem der Autorschaft. Universität Bern. 28.-30. November 2019.

Mit der Notenschrift entwickelte sich in der europäischen Musikgeschichte eine eigene Dynamik, steht doch der Notentext hier in starker Wechselwirkung zum Komponieren und deren zunehmender Komplexität. Anders ausgedrückt: Eine Beethovenʼsche Symphonie lässt sich weder improvisieren noch vollständig memorieren. Die Schrift wird zur Bedingung des schöpferischen Akts. In dieser Konstellation bildet spätestens seit der Erfindung des Notendrucks auch der Verleger eine nicht zu unterschätzende Grösse: Mediale Präsenz, Druckbild und materiale Erscheinung von Musikalien geben massgebliche Handreichungen für Musikpraxis und Musikforschung. Lange Zeit standen flexibel einzurichtende Musikalien im Fokus der Produktion: etwa hinsichtlich Instrumentation, Besetzungsstärke oder Selektion von Abschnitten. Allzu genaue Vorgaben bilden hier die Ausnahme. Eine getreue Auslegung des Notentextes bleibt an die jeweilige regional- und zeittypische Aufführungspraxis gebunden. Der gedruckte Notentext scheint zuweilen sogar nur von sekundärer Bedeutung zu sein. Darüber hinaus macht die Überlieferung von Druckvarianten die Bestimmung eines verbindlichen Primärtextes schwierig bis unmöglich. Autorschaft wird zur beweglichen Masse.
Frühere Verleger zeigen häufig ein hohes Mass an Kreativität hinsichtlich der Zuschreibung einzelner musikalischer Werke zu bestimmten Autor*innen. So sind deutlich mehr Symphonien Joseph Haydn zugeschrieben als er tatsächlich komponiert hat. Erst durch den stärker werdenden direkten Kontakt und vertragsähnliche Vereinbarungen zwischen Komponisten und Verlegern erlangen Musiker zunehmend mehr Kontrolle über Autorschaft, Druckbild und Verbreitung ihrer Werke. Einerseits erzählt diese, im ausgehenden 18. Jahrhundert immer enger werdende Beziehung zwischen Verleger und Komponist eine scheinbar lineare Geschichte der Autonomie des frei schaffenden ‚Tondichters‘. Andererseits ist das musikalische Publikationsgeschäft auch noch im 19. Jahrhundert Verhandlungsort zwischen mehreren Parteien für zum Teil gravierende Eingriffe in die Substanz dessen, was ästhetisch als autonomes, absolutes Kunstwerk begriffen wird: Abschnitte werden gestrichen, Noten verändert, Paratexte hinzugefügt, Sätze vertauscht, Bearbeitungen erstellt, Neukompositionen angeregt. Der Vortrag möchte diese komplexe Beziehung zwischen Autor, Werk und Verleger von der Frühen Neuzeit bis zur Moderne anhand exemplarischer Beispiele diskutieren.

Item Type:

Conference or Workshop Item (Speech)

Division/Institute:

06 Faculty of Humanities > Department of Art and Cultural Studies > Institute of Musicology

UniBE Contributor:

Wegner, Sascha

Subjects:

700 Arts > 780 Music

Language:

German

Submitter:

Sascha Wegner

Date Deposited:

22 Feb 2021 10:43

Last Modified:

05 Dec 2022 15:43

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URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/149881

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