„Mein Dialekt ist eine Mischung“. Soziolinguistische Variation in der alemannischen L2-Varietät von Rätoroman*innen in Bern

Büchler, Andrin (8 September 2022). „Mein Dialekt ist eine Mischung“. Soziolinguistische Variation in der alemannischen L2-Varietät von Rätoroman*innen in Bern (Unpublished). In: 20. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie. Chur. 07.–09.09.2022.

Bekanntermassen ist die Schweiz de jure ein mehrsprachiges Land, deren vier in der Verfassung verankerten Landessprachen an Territorien gebunden sind (vgl. hierzu Riehl 2014: 64). Weiter wird die deutschsprachige Schweiz als typisches Beispiel einer Diglossie angeführt (vgl. Ferguson 1959; Christen/Schmidlin 2019). Wegen dieser besonderen soziolinguistischen Situation überqueren inländische Migrant*innen zwangsweise oftmals sprachliche (vgl. Lüdi 1992) oder dialektale Grenzen (vgl. Werlen et al. 2002). In beiden Fällen führt die Mobilität zu Situationen von intensivem sprachlichem Kontakt.

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit Sprecher*innen des Rätoromanischen, die, wenn sie in die deutschsprachige Schweiz migrieren, sowohl Sprach- als auch Dialektgrenzen überqueren. Wegen des Status des Rätoromanischen als Minderheitensprache und der starken sozio-ökonomischen Vormachtstellung der deutschsprachigen Schweiz, erlernen Sprecher*innen des Rätoromanischen üblicherweise Schweizer Standarddeutsch sowie eine L2-Varietät des Alemannischen (üblicherweise eine Varietät des Churerrheintalischen) bereits in ihrer Kindheit oder Jugend (vgl. Eckhardt 2021). Wenn sie im jungen Erwachsenenalter in die Deutschschweiz migrieren, kommen sie vermehrt in Kontakt mit Sprecher*innen mittelländischer Varietäten des Schweizerdeutschen.

Auf Grundlage variationslinguistischer Methoden werden in diesem Beitrag die linguistischen Effekte dieses Kontaktszenarios beleuchtet. Namentlich werden langfristige Akkommodationsprozesse in der alemannischen L2-Varietät von Rätoroman*innen, die in die Stadt Bern migriert sind, untersucht. Dazu wurden soziolinguistische Interviews mit 40 in Bern lebenden tertiär ausgebildeten Sprecher*innen des Rätoromanischen im Alter zwischen 20 und 40 geführt. Grundlage der variationslinguistischen Analyse bilden drei phonetisch-phonologische Variablen: verschobenes anlautendes (k), nicht verschobenes anlautendes (k) sowie auslautendes (ə). Für alle drei Variablen existieren typische und lokal begrenzte churerrheintalische Varianten, wobei diese im Hinblick auf ihre Salienz (vgl. Kerswill/Williams 2002) unterschiedlich zu bewerten sind. Langfristige Akkommodation bedeutet, dass die Sprecher*innen diese typischen lokalen Varianten ablegen und in Richtung von Varianten konvergieren, die in den mittelländischen Varietäten des Schweizerdeutschen verbreitet sind. Die Ergebnisse zeigen ein je nach untersuchter Variable unterschiedlich stark ausgeprägtes Mass an Inter-Sprecher-Variabilität. Während die Variantenwahl bei nicht verschobenem anlautendem (k) (d.h. /k(h)/ oder /kx/) vor allem an Erwerbsszenarien gebunden ist, scheinen für die anderen zwei Variablen soziale Faktoren wie z.B. die geographische Orientierung, die Netzwerkstruktur, die besuchte Schule etc. entscheidend für die Erklärung des unterschiedlichen Grades an Akkommodation bzw. der Konvergenz hin zu supralokalen Varianten zu sein.

Literatur
Christen, Helen/Schmidlin, Regula (2019): „Die Schweiz. Dialektvielfalt in mehrsprachigem Umfeld“. In: Beyer, Rahel/Plewnia, Albrecht (eds.): Handbuch des Deutschen in West- und Mitteleuropa. Sprachminderheiten und Mehrsprachigkeitskonstellationen. Tübingen, Narr/Francke/Attempto: 193–245.
Eckhardt, Oscar (2021): Alemannisch in der Rumantschia: Die Alemannischen Dialekte im Romanischen Sprachraum von Trin, Ilanz, Trun und Scuol. Stuttgart: Steiner. (= ZDL Beihefte 183).
Ferguson, Charles (1959): “Diglossia”. Word 15: 325–340.
Kerswill, Paul/Williams, Ann (2002): “‘Salience’ as an explanatory factor in language change: Evidence from dialect levelling in urban England”. In: Jones, Mari C./Esch, Edith (eds.): Language change. Berlin/New York, Mouton de Gruyter: 81–110.
Lüdi, Georges (1992): “Internal migrants in a multilingual country”. Multilingua 11/1: 45–73.
Riehl, Claudia M. (2014): Sprachkontaktforschung: Eine Einführung. 3rd ed. Tübingen: Narr.
Werlen, Iwar et al. (2002): „Projekt Üsserschwyz. Dialektanpassung und Dialektloyalität von Oberwalliser Migranten“. Arbeitspapiere Institut für Sprachwissenschaft 39. University of Berne.

Item Type:

Conference or Workshop Item (Speech)

Division/Institute:

06 Faculty of Humanities > Department of Linguistics and Literary Studies > Institute of Germanic Languages

Graduate School:

Graduate School of the Arts (GSA) [discontinued]

UniBE Contributor:

Büchler, Andrin

Subjects:

400 Language
400 Language > 410 Linguistics
400 Language > 430 German & related languages

Language:

German

Submitter:

Andrin Büchler

Date Deposited:

15 Sep 2022 10:31

Last Modified:

05 Dec 2022 16:24

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/172814

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