Umwege zum Unverfügbaren. Zur Konstruktion ›vormoderner‹ Gattungen des Sakralen um 1800

Martin, Anita; Detering, Nicolas (November 2021). Umwege zum Unverfügbaren. Zur Konstruktion ›vormoderner‹ Gattungen des Sakralen um 1800 (Unpublished). In: Unverfügbarkeit – Latenz – Widmung. Universität Paderborn.

Spätestens mit Schleiermachers Religionsphilosophie werden Ausdruck und Mitteilung von Transzendenz-›Anschauung‹ zum Problem, das, wie bekannt, auch die Darstellungsmöglichkeiten von Literatur um 1800 herausfordert. ›Unverfügbar‹ ist das Absolute, so schon der zeitgenössi-sche Befund, nicht nur im Hinblick auf die Erfahrung, sondern auch kommunikativ, und wo man sich dennoch der Semantik des Sakralen bedient, wird ihr notwendig approximativer Cha-rakter markiert – »Und was ich sah, das Heilige sei mein Wort« (Hölderlin). Es gehört indes zu den weniger beachteten Eigenheiten sattelzeitlicher Religionsästhetik, dass sie die Formaporie des Heiligen auch gattungspoetisch reflektiert, ja dass die Aktualisierung vermeintlich ›ursprüng-licher‹ Genres der Vormoderne einen wirkmächtigen Versuch konstituiert, Sakralität als ästheti-schen Effekt zu erzeugen, beruhend auf der generischen Suggestion von Naivität, Hingabe und ›mittelalterlicher‹ Schlichtheit. Ein Großteil jener literarischen Zeugnisse, die im 19. Jahrhundert von Heiligen und Heiligkeit handeln, beruht auf funktionalen Schemata, auf stereotypen Figuren und Figurenrelationen, musterhaften Ereignis- und Handlungsfolgen bis hin zu topisierten Raum- und Dingbeziehungen. Ihre Konstituenten sind offenbar älteren Literaturbeständen ent-nommen, und tatsächlich sind diese Texte oft mit entsprechenden Gattungsbezeichnungen ver-sehen, die sie als generisch ausweisen, so jedenfalls im Fall der Heiligenlegende, der Hymne, des geistlichen Lieds und des ›romantischen Trauerspiels‹, das auf Passions- und Mysterienspiele so-wie auf das romanische Märtyrerdrama der Renaissance zurückgreift. Zugleich ist zu beobachten, wie die gattungstechnischen Verfahren dieser Vermittlung selbst ausgestellt werden, wie sich mithin metapoetische Kommentare und selbstreferentielle Brüche mehren, die das Heilige als Dargestelltes wiederum distanzieren und den generischen Prozess seiner Evokation sichtbar zu machen suchen.
Unser Konferenzpapier setzt bei Herders wenig bekannter Legendenpoetik, Schillers und Tiecks Heiligendramen und Novalis’ geistlichen Liedern an, um einige Optionen dieser Gattungspoetik des Sakralen um 1800 zu skizzieren. Es rekurriert zudem auf ein umfangreiches Korpus von Heiligenlegenden und Märtyrerdramen im ›langen‹ 19. Jahrhundert, das wir in der Vorbereitung eines größeren Forschungsprojekts an der Universität Bern extensiv gesichtet ha-ben. Auf Grundlage dieser Vorarbeiten möchten wir einen Beitrag zur These der Konferenz leis-ten, das Heilige sei als Ergebnis kultureller Prozesse zu verstehen, in denen es gleichermaßen Nähe- und Distanzeffekte entfalte, mithin zwischen Einschließung und Ausschließung oszilliere. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel des Vortrags, die zentrale Rolle zu betonen, die literari-sche Traditionsaneignungen für die Sakralitätsentwürfe der Moderne spielen. Sie ermöglichen es der Literatur nach 1800, zwischen Präsenz- und Mediationsgesten, zwischen gattungsgestützter Heiligkeitsevokation und durch das Heiligensujet provozierter Gattungsreflexion zu changieren.

Item Type:

Conference or Workshop Item (Speech)

Division/Institute:

06 Faculty of Humanities > Department of Linguistics and Literary Studies > Institute of Germanic Languages
06 Faculty of Humanities > Department of Linguistics and Literary Studies > Institute of Germanic Languages > Modern German Literary Studies

Graduate School:

Graduate School of the Arts and Humanities (GSAH)

UniBE Contributor:

Martin, Anita, Detering, Nicolas

Subjects:

400 Language > 430 German & related languages
800 Literature, rhetoric & criticism > 830 German & related literatures

Language:

German

Submitter:

Anita Martin

Date Deposited:

17 Jun 2024 15:55

Last Modified:

17 Jun 2024 15:55

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/197681

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