Atmosphärische CO2-Konzentration der letzten 650'000 Jahre anhand von Messungen an Antarktischen Eisbohrkernen

Siegenthaler, Urs (2006). Atmosphärische CO2-Konzentration der letzten 650'000 Jahre anhand von Messungen an Antarktischen Eisbohrkernen (Unpublished). (Dissertation, Universität Bern, Philosophisch–naturwissenschaftliche Fakultät, Physikalisches Institut, Abteilung für Klima– und Umweltphysik)

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Eine steigende Anzahl von Beobachtungen ergibt ein kollektives Bild einer sich erwärmenden Welt und anderer Änderungen innerhalb des Klimasystems. Während des 20. Jahrhunderts veränderten sich beispielsweise die mittlere Oberflächentemperatur, die Ausdehnung der Schnee- und Eisbedeckung, regionale Niederschlagsmengen, die mittlere globale Meeresspiegelhöhe, warme Phasen des ENSO-Phänomens oder die wichtigsten Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre. Die durchschnittliche globale Temperatur an der Erdoberfläche hat sich im 20. Jahrhundert um 0.6◦C erhöht. Es gibt neue und klarere Belege dafür, dass der Grossteil der in den letzten 50 Jahren beobachteten Erwärmung menschlichen Aktivitäten zuzuschreiben ist [IPCC, 2001]. Die Strahlungsbilanz der Erde wurde innerhalb der letzten 250 Jahre durch Änderungen der atmosphärischen Zusammensetzung, Veränderungen der Oberflächenreflektion (Albedo) und durch Schwankungen der Sonnenaktivität beeinflusst. Der Grossteil der beobachteten Erwärmung im Verlaufe der letzten 50 Jahre ist nach dem momentanen Wissensstand auf die steigenden atmosphärischen Treibhausgaskonzentrationen zurückzuführen. Der natürliche Treibhauseffekt wird durch die vom Menschen verursachte Emission von Treibhausgasen wie Kohlendioxid, Methan, Lachgas und halogenierten Kohlenstoffen verstärkt. Kohlendioxid (CO2) trägt aufgrund seiner Lichtabsorptionseigenschaften im Infrarotbereich und der hohen Emissionsraten, welche grösstenteils durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern verursacht sind, am meisten zum verstärkten Treibhausgaseffekt bei. Die vom Menschen verursachten Veränderungen im Klimasystem haben eine Reihe von komplizierten Rückkopplungseffekten zur Folge, welche die Auswirkungen der Veränderungen verstärken oder abschwächen können.
Diese Arbeit befasst sich mit der Messung von atmosphärischem CO2 an Eisbohrkernen. Diese bilden das einzige Klimaarchiv, an welchem Treibhausgaskonzentrationen vergangener Zeitperioden direkt an Lufteinschlüssen gemessen und in guter Näherung rekonstruiert werden können. Das Wissen über atmosphärische Treibhausgaskonzentrationen in Zeitperioden vor Beginn instrumenteller Messreihen, trägt wesentlich zum Verständnis des Kohlenstoffkreislaufs und des Klimasystems im Allgemeinen bei. Voraussagen des zukünftigen Klimas mittels physikalischer Klimamodelle sind zudem glaubwürdiger, wenn damit auch die natürlichen Klimaschwankungen der Vergangenheit innerhalb der Unsicherheiten der Paläodaten
rekonstruiert werden können. Figur 1.1 zeigt eine Auswahl von CO2-Daten, gemessen an antarktischen Eisbohrkernen zusammen mit Deuterium, einem Proxy für die antarktische Temperatur.
[Figur 1.1]
Weil nach der Beendigung der im Rahmen des ”European Project for Ice Coring in Antarctica“(EPICA) durchgeführten Bohrung des antarktischen Eisbohrkerns von Dome Concordia (Dome C) in der Feldsaison 2004/05 nun Eis zur Verfügung steht, welches zeitlich beinahe doppelt so weit zurückreicht, als das Eis aller bisherigen Eisbohrkerne, bieten sich marine Sedimente als Vergleich und zur Interpretation der neuen Messungen geradezu an. Marine Sedimente sind ein ausgezeichnetes Klimaarchiv, welches zeitlich wesentlich weiter zurückreicht als dasjenige der Eisbohrkerne. Kapitel 2 vermittelt deshalb nach einer kurzen Exkursion in die Theorie des Kohlenstoffkreislaufs und der Variabilität der atmosphärischen CO2-Konzentration einen Überblick über Messungen an marinen Sedimentablagerungen und deren Interpretation bezüglich des Klimas des Pleistozäns.
Bei der Messung von CO2-Konzentrationen an polarem Eis spielt die Extraktion der Luft eine zentrale Rolle. Innerhalb eines Eisbohrkerns muss zwischen verschiedenen charakteristischen Tiefenintervallen unterschieden werden, welche entsprechend Anpassungen an die Extraktionsprozedur erfordern. In Kapitel 3 wird deshalb die angewandte Extraktionsprozedur für die in Kapitel 4.3 und 4.4 vorgestellten CO2-Messungen analysiert.
Eine zentrale Rolle in der Klimaforschung spielt nebst der Entwicklung verschiedener Klimavariablen über mehrere Jahrhunderttausende das letzte Millennium. Innerhalb dieses Zeitintervalls kann auf zahlreiche Klimaarchive, auf historische Überlieferungen und auf instrumentelle Messreihen zurückgegriffen werden. Dabei wird sowohl die natürliche Klimavariabilität als auch der Einfluss des Menschen auf das Klima untersucht. In Kapitel 4.1.2 werden CO2-Daten gemessen am EPICA DML-Eisbohrkern vorgestellt, welche durch einige Messungen am 1982 gebohrten Eisbohrkern von Südpol ergänzt wurden. Im wesentlichen werden die schon früher veröffentlichten Messungen am Eisbohrkern von Law Dome [Etheridge et al., 1996] bestätigt.
Die momentan bereits rund 10’000 Jahre andauernde Warmzeit, das Holozän, zeichnet sich durch ein warmes und besonders stabiles Klima aus. Dass die CO2-Konzentration während dieser Zeit dennoch von 260 auf 280 ppmv angestiegen ist, haben Indermühle et al. [1999] anhand von Messungen an Taylor Dome Eisproben gezeigt. Messungen an den Eisbohrkernen von Dome Concordia (Dome C) und DML von Kapitel 4.2 bestätigen die Amplitude dieses Anstiegs. Es existieren aber Unstimmigkeiten bezüglich des zeitlichen Verlaufes des CO2-Anstiegs, welche auf Unterschiede in den jeweiligen Zeitskalen zurückzuführen sind.
Mit ganz anderen Zeitskalen beschäftigen sich Kapitel 4.3 und 4.4. Messungen am Dome C Eisbohrkern ermöglichen einen kontinuierlichen Einblick in die Klimageschichte über die letzten rund 800’000 Jahre. Die Periode zwischen 420’000 und 800’000 Jahren vor heute zeichnet sich im Vergleich zu den letzten 420’000 Jahren dadurch aus, dass Warmzeiten kälter waren und sich zudem in schnellerer Abfolge wiederholten [EPICA community members, 2004]. Die wichtigste Frage im Vorfeld dieser CO2-Messungen war deshalb, ob CO2 und antarktische Temperatur in diesem völlig anderen Klimaregime ähnlich stark wie in den letzten 420'000 Jahren gekoppelt waren. Die Messungen am Dome C Eisbohrkern sind mit ersten wissenschaftlichen Resultaten üer den Zeitraum bis zu 750’000 Jahre vor heute in Kapitel 4.3 und mit CO2-Resultaten bis zu 650’000 Jahre vor heute in Kapitel 4.4 vertreten.
Die Diffusion von Gasen im Eisgitter kann Auswirkungen auf die Interpretation von Gasmessungen an Eisbohrkernen haben. Anhang A beinhaltet eine Zusammenstellung von Diffusionskonstanten und Löslichkeiten der Gase O2, N2 und CO2 und stellt gewisse Ansätze zu deren Berechnung vor. Leider sind die Unsicherheiten dieser Berechnungen momentan noch sehr gross, was sich auch auf die Abschätzung von Fraktionierungseffekten der im Eis eingeschlossenen Luft auswirkt.

Item Type:

Thesis (Dissertation)

Division/Institute:

08 Faculty of Science > Physics Institute > Climate and Environmental Physics

UniBE Contributor:

Siegenthaler, Urs, Stocker, Thomas

Subjects:

500 Science > 530 Physics

Language:

German

Submitter:

Marceline Brodmann

Date Deposited:

02 May 2024 15:33

Last Modified:

02 May 2024 15:33

BORIS DOI:

10.48350/192523

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/192523

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