Sportvereine als Interessenorganisationen?! Ziel-Interessen-Divergenzen und ihre Auswirkungen

Klenk, Christoffer; Nagel, Siegfried (May 2012). Sportvereine als Interessenorganisationen?! Ziel-Interessen-Divergenzen und ihre Auswirkungen. In: 16. Jahrestagung Arbeitskreis Sportökonomie e.V.: Im Schatten der Sportwirtschaft (pp. 26-27). Magglingen: Bundesamt für Sport BASPO

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Einleitung:
Freiwillige Sportorganisationen wie Sportvereine sind als Interessenorganisationen zu charakterisieren, deren primärer Organisationszweck sich auf die Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder bezieht (Nagel, 2006). Mit dieser Interessenvertretungsfunktion wird gewährleistet, dass die Vereinsziele an die Mitgliederinteressen rückgebunden bleiben und Ziel-Interessen-Kongruenz herrscht (Schimank, 2005). Die Beobachtungen der Ver-einsrealität weisen jedoch darauf hin, dass die Ziele der Vereine oftmals von den Interessen ihrer Mitglieder abweichen und im Widerspruch zueinander stehen (Baur & Burrmann, 2003; Heinemann, 2004). Vor diesem Problemhintergrund ist zu fragen: Inwiefern stimmen die Vereinsziele mit den Mitgliederinteressen überein? Und für den Fall von Ziel-Interessen-Divergenzen, welche Auswirkungen ergeben sich daraus für die Vereine?
Theoretisch-methodischer Ansatz:
Für die theoriegeleite Beantwortung der Fragestellungen wurde auf Grundlage einer akteurtheoretischen Kon-zeptualisierung von Vereinen als Interessenorganisationen (Nagel, 2006; Schimank, 2007) ein strukturell-individualistisches Mehr-Ebenen-Modell entwickelt, dass zum einen das Verhältnis von Vereinszielen (Vereins-ebene) und Mitgliederinteressen (Mitgliederebene) und damit die Genese von Ziel-Interessen-Divergenzen erklärt. Zum anderen liefert das Modell eine Erklärungsgrundlage, welche Auswirkungen Divergenzen (struktu-relle Vereinssituation) auf die Mitglieder haben, d.h. wie die Mitglieder auf bestehende Divergenzen reagieren (individuelle Mitgliederhandlung).
Die erforderlichen Vereins- und Mitgliederdaten wurden im Rahmen zweier Teilstudien erfasst, bei denen in erster Linie quantitative Erhebungs- und Auswertungsverfahren zum Einsatz kamen. Die erste Teilstudie wurde im Fürstentum Liechtenstein zur Analyse der Ziel-Interessen-Übereinstimmung durchgeführt, wobei hierzu die Präsidenten von 17 Vereinen und 481 Mitglieder schriftlich befragt wurden. In der zweiten Teilstudie wurde im Schweizer Turnverein Länggasse Bern mit 199 Mitgliedern eine schriftliche Befragung durchgeführt, um die Auswirkungen von Divergenzen zu analysieren.
Zur Erfassung des Ausmasses von Ziel-Interessen-Divergenzen wurde eine Vergleichsprüfung der Vereinsziele und Mitgliederinteressen durchgeführt. Die Liechtensteinischen Vereinspräsidenten und Vereinsmitglieder mussten diesbezüglich die Bedeutung von 23 verschiedenen Items eines entwickelten Ziel-/Interessen-Fragekataloges einschätzen und über den betragsmässigen Bedeutungsunterschied konnte das quantitative Divergenzmass bestimmt werden. Um die Frage nach den Auswirkungen zu klären, hatten die Mitglieder des Schweizer Turnvereins Länggase Bern Aussagen über ihre Reaktionen auf bestehende Divergenzen entlang einer konzipierten Handlungstypologie (exit, voice, loyalty, neglect) zu geben.
Ergebnisse:
Die Befunde der Vergleichsanalyse zeigen, dass in allen untersuchten Vereinen Ziel-Interessen-Divergenzen in unterschiedlichem Ausmaß existieren. Bei einem Drittel der Vereine bestehen mittlere Divergenzen und in zwei Drittel sind größere Divergenzen zu beobachten. Divergenzen bestehen dabei vor allem hinsichtlich des Brei-tensports (v.a. Erweiterung des Sportangebots), der Vereinsentwicklung (v.a. Öffnen für neue Entwicklungen) und der Geselligkeit (v.a. aussersportliches Angebot, Wahrung der Vereinstradition).
Die Analyse der Auswirkungen zeigt, dass geringe und mittelstarke Divergenzen in erster Linie zu konstruktiven Reaktionen führen. Die Mitglieder machen dabei die Vereinsführung auf diese Situation aufmerksam (voice), indem sie das Problem ansprechen und Vorschläge zur Problemlösung unterbreiten. Oder sie haben aus Grün-den der Vereinsverbundenheit (loyalty) die Hoffnung und das Vertrauen, dass die Vereinsführung ohne ihr Eingreifen das Problem löst. Wenn aber großen Divergenzen existieren, die sich für die Vereine zu einem gra-vierenden Problem entwickeln, tendieren die Mitglieder hingegen verstärkt zu destruktiven Reaktionen, die sich durch Gleichgültigkeit und Desinteresse am Vereinsgeschehen (neglect) äussern, indem die Mitglieder zukünftig nicht mehr auf Vereinsanlässe gehen. Oder sie wählen die Option des Rückzugs und Austritts (exit), indem sie ihr Vereinsengagement aufgeben oder im Extremfall aus der Abteilung oder dem Verein austreten.
Diskussion:
In der Vereinsrealität stellen Ziel-Interessen-Divergenzen offenbar eher die Norm als die Ausnahme dar, so dass die Vereinsziele nur teilweise an die Mitgliederinteressen rückgebunden sind. Allerdings sind Divergenzen nicht grundsätzlich als Problem zu interpretieren, sondern sind vielmehr in Abhängigkeit ihrer Intensität zu beurtei-len. Diesbezüglich dürften Vereine geringfügig bis mittelmässig ausgeprägte Divergenzsituationen im laufenden Vereinsgeschehen bis zu einem gewissen Grad relativ gut aushalten und aufarbeiten können, weil die Mitglie-der in diesem Fall zu einem konstruktiven Umgang tendieren, die eine Wiederherstellung von Ziel-Interessen-Kongruenz begünstigt. Demgegenüber können sich aber grosse Divergenzen zu einem ernsthaften Problem für Vereine entfalten, weil die Mitglieder in diesem Fall zu destruktiven Reaktionen neigen, die sich negativ auf die Vereinsentwicklung auswirken dürfte.
Literatur
Baur, J. & Burrmann, U. (2003). Konflikte in Sportvereinen. In J. Baur & S. Braun (Hrsg.), Integrationsleistungen von Sport-vereinen als Freiwilligenorganisationen (S. 331-370). Aachen: Meyer & Meyer.
Nagel, S. (2006). Sportvereine im Wandel. Akteurtheoretische Analysen zur Entwicklung von Sportvereinen. Schorndorf: Hofmann.
Nagel, S. (2007). Akteurtheoretische Analyse der Sportvereinsentwicklung. Ein theoretisch-methodischer Bezugsrahmen. Sportwissenschaft, 37 (2), 186-201.
Schimank, U. (2005). Der Vereinssport in der Organisationsgesellschaft: organisationssoziologische Perspektiven auf ein spannungsreiches Verhältnis. In T. Alkemeyer, B. Rigauer & G. Sobiech (Hrsg.), Organisationsentwicklungen und De-Institutionalisierungsprozesse im Sport (S. 21-44). Schorndorf: Hofmann.
Schimank, U. (2007). Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurtheoretische Soziologie. Weinheim: Juventa Verlag.

Item Type:

Conference or Workshop Item (Abstract)

Division/Institute:

07 Faculty of Human Sciences > Institute of Sport Science (ISPW)
07 Faculty of Human Sciences > Institute of Sport Science (ISPW) > Sport Sociology and Management

UniBE Contributor:

Klenk, Christoffer, Nagel, Siegfried

Subjects:

300 Social sciences, sociology & anthropology
700 Arts > 790 Sports, games & entertainment

Publisher:

Bundesamt für Sport BASPO

Language:

German

Submitter:

Rahel Spring

Date Deposited:

28 May 2014 15:45

Last Modified:

05 Dec 2022 14:27

BORIS DOI:

10.7892/boris.40548

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/40548

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