Original und Kopie des ›Rappoltsteiner Parzifal‹. Handschriftliche Überlieferung und Textgenese im 14. Jahrhundert

Der ›Rappoltsteiner Parzifal‹ (Karlsruhe, Badische Landesbibl., Donaueschingen 97) gilt als die „einzige ‚Originalhandschrift’ eines höfischen Epos aus dem 13. und 14. Jahrhundert, die erhalten geblieben ist“ (J. BUMKE). Das 320 Blätter umfassende deutschsprachige Manuskript wurde zwischen 1331 und 1336 in Strassburg von einer Gruppe von Redaktoren, Übersetzern, Schreibern und Malern angefertigt; es überliefert den ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach zusammen mit Insertionen, die aus dem umfangreichen Bestand altfranzösischer ›Conte du Graal‹-Fortsetzungen stammen (davon knapp 37'000 Verse eingelagert zwischen den Büchern XIV und XV von Wolframs ›Parzival‹). Bislang wenig beachtet wurde eine heute in Rom aufbewahrte Abschrift des ›Rappoltsteiner Parzifal‹ (Biblioteca Casanatense, Mss. 1409) aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts, die nur den erwähnten Einschub mit ›Conte du Graal‹-Fortsetzungen sowie die abschliessenden Bücher XV und XVI von Wolframs ›Parzival‹ enthält. Auffällig an der Texteinrichtung dieser Handschrift, deren Status als Kopie schlüssig nachgewiesen werden kann, sind dialektale Glättungen, Eingriffe im Layout und redaktionelle Massnahmen wie lexematische und syntagmatische Ersetzungen, einschneidende Kürzungen und die damit einhergehenden Verfugungen des Vorlagenbestands. Zu dem aussergewöhnlichen Überlieferungsbefund, dass mit den beiden Manuskripten eine ‚Originalhandschrift’ und deren ‚Kopie’ vorliegt, tritt die Tatsache, dass der Codex Casanatensis im Kontext des ›Parzival‹-Projekts (Erarbeitung einer elektronischen Edition von Wolframs ›Parzival‹: www.parzival.unibe.ch) jüngst einer ebenfalls im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts anzusetzenden Schreibwerkstatt im fränkischen Raum zugeordnet werden konnte. Aus diesem offenbar an einer ‚Wolfram-Gesamtausgabe’ interessierten Skriptorium stammen neben einer weiteren ›Parzival‹-Handschrift (Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 364) Manuskripte mit Wolfram-Texten, -Bearbeitungen und -Fortsetzungen, die heute in Heidelberg und an anderen Bibliotheksstandorten aufbewahrt werden.Das hier beantragte Projekt verfolgt ein doppeltes Ziel: Zum einen sollen die zwischen dem ›Rappoltsteiner Parzifal‹ und seiner Abschrift im Codex Casanatensis bestehenden Kopiervorgänge in konsequenter Berücksichtigung von dessen Bezug zum fränkischen Skriptorium detailgenau untersucht und in digitaler Form erschlossen werden. Zum anderen soll die faktengesättigte Analyse dieser einzigartigen Konstellation die Basis für ein disziplinenübergreifendes Projekt zu Kopierprozessen schaffen, das neben dem Spezialfall der mittelalterlichen Handschrift auch andere Epochen und Artefakte einbezieht. Unter Berücksichtigung theoretischer Konzepte der ‚technischen Reproduzierbarkeit’ (W. BENJAMIN), ‚Transkriptivität’ (L. JÄGER) und ‚Emergenz’ (W. ISER) sowie des ‚genetischen Codes’ (E. SCHRÖDINGER, H. BLUMENBERG u.a.) soll die Grundlegung für ein Projekt zu ‚Techniken der Reproduktion in transdisziplinärer Perspektive’ (Arbeitstitel) erfolgen.

Id912
Grant Value381923
Commencement Date / Completion Date1 March 2016 - 28 February 2019
Contributors Prof. Dr. Michael Stolz (Principle Investigator)
Dr. Richard Fasching (Co-Investigator)
Funders [42] Schweizerischer Nationalfonds
KeywordsArthurian romance – Copying processes – Techniques of reproduction – Transmission of manuscripts
Publications Stolz, Michael (2018). Copying, Emergence and Digital Reproduction. Transferring Medieval Manuscript Culture into an Electronic Edition. Digital Philology. A Journal of Medieval Cultures, 6(2), pp. 257-287. Johns Hopkins University Press
Stolz, Michael (8 March 2018). Der ‚lebende‘ Text. Mutationen in der ›Parzival‹-Überlieferung am Beispiel von Vorlage und Kopie (Handschriften V und V’) (Unpublished). In: Lachmanns Erben. Vom Umgang mit Textvarianz in klassischer Philologie und germanistischer Mediävistik. Wissenschaftskolleg zu Berlin. 08.-09. März 2018.
Stolz, Michael; Fasching, Richard (21 February 2019). Original und Kopie des ,Rappoltsteiner Parzifal‘. Kürzungsverfahren in der Abschrift Roma, Biblioteca Casantense, Ms. 1409 (Unpublished). In: 'abbreviatio. Formen. Funktionen. Konzepte. Universität Zürich. 20.–22.2.2019.
Stolz, Michael (20 March 2019). 'Original' und 'Kopie' des 'Rappoltsteiner Parzifal'. Kopistische Interventionen in der Abschrift Roma, Biblioteca Casanatense, Ms. 1409 (Unpublished). In: Schaffen und Nachahmen. Kreative Prozesse im Mittelalter. 18. Symposium des Mediävistenverbandes. Universität Tübingen. 17.–20.03.2019.
Stolz, Michael (5 April 2019). Exemplar and copy of the Rappoltsteiner 'Parzifal'. Manuscript transmission and textual genesis in the fourteenth century (Unpublished). In: Studia Stemmatologica VIII. University of Cambridge. 04.–05.04.2019.
Stolz, Michael; Fasching, Richard (2020). Parzival im Manuskript. Profile der Parzival-Überlieferung am Beispiel von fünf Handschriften des 13. bis 15. Jahrhunderts. Basel: Schwabe 0.24894/978-3-7965-4223-7
Rippl, Gabriele; Stolz, Michael (eds.) (2020). Original und Kopie: Techniken und Ästhetiken der re/produktiven Abweichung. Sondernummer der Kulturwissenschaftlichen Zeitschrift: Vol. 3. Berlin: Sciendo
Stolz, Michael (2020). Der ‚lebende‘ Text. Mutationen in der „Parzival“-Überlieferung am Beispiel von Vorlage und Kopie (Handschriften V und V’) (Submitted). Zeitschrift für deutsche Philologie ZfdPh E. Schmidt
Stolz, Michael; Howe, Chris (2020). On the Borderline of Disciplines – Concepts of Reproduction and Copying in Molecular Biology and in the Humanities. A Conversation with Christopher Howe (Molecular Biology, Cambridge). Kulturwissenschaftliche Zeitschrift, 4(3), pp. 101-113. De Gruyter https://doi.org/10.2478/kwg-2020-0009

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