Der Sprachliche Markt regelt’s! Soziolinguistische Variation im gesprochenen Schweizer Standarddeutschen

Bülow, Lars; Büchler, Andrin; Britain, David (8 September 2022). Der Sprachliche Markt regelt’s! Soziolinguistische Variation im gesprochenen Schweizer Standarddeutschen (Unpublished). In: 20. Arbeitstagung zur alemannischen Dialektologie. Chur. 07.–09.09.2022.

Sankoff und Laberge (1978) haben das in der Soziologie entwickelte Konzept des Sprachlichen Markts (vgl. Bourdieu/Boltanski 1975) empirisch operationalisiert, um sprachliche Variation in Montreal (Kanada) aus einer soziolinguistischen Perspektive zu beschreiben. Der von ihnen verwendete Index berücksichtigt, inwiefern die wirtschaftliche bzw. berufliche Tätigkeit der Sprecher*innen die Beherrschung der legitimierten Standard- oder Bildungssprache(n) voraussetzt oder zwangsläufig damit verbunden ist (vgl. Sankoff/Laberge 1978: 239). Auch wenn sich gezeigt hat, dass das Modell (des Sprachlichen Markts) linguistische Variation besser erklärt als traditionelle soziolinguistische Variablen (vgl. Sankoff et al. 1989), wurde es in späteren Arbeiten häufig lediglich als post-hoc-Erklärung herangezogen, um Abweichungen bzw. Ausreißer in den Daten zu plausibilisieren (z.B. Buchstaller 2015; Rickford/Price 2013). Dementsprechend fehlt bislang eine fundierte empirische Überprüfung des Konzepts in anderen soziolinguistischen Kontexten.

Ziel dieses Beitrags ist es, das Konzept des Sprachlichen Markts für die Beschreibung der soziolinguistischen Situation in der Deutschschweiz zu überprüfen. In Anlehnung an die Arbeiten von Bourdieu/Boltanski (1975) und Sankoff/Laberge (1978) definieren wir den Sprachlichen Markt als die Bedeutung, die der Sprachgebrauch für die Sprecher*innen vor allem im Berufs- aber auch im Privatleben darstellt. Dabei wird der Sprachliche Markt als Index mittels Spracheinstellungen und -einschätzungen operationalisiert (Likert-Skalen-Daten). Es wird also untersucht, ob der Sprachliche-Markt-Index die lautliche Variation im gesprochenen Schweizer Standarddeutschen besser erklärt als traditionelle soziolinguistische Faktoren (z.B. Bildungsgrad, Geschlecht, Situationalität), deren Einfluss im Deutschschweizer Kontext bereits mehrfach nachgewiesen wurde (Bülow et al. 2021; Büchler et al. angenommen). Im Fokus dieser Studie stehen vier phonetisch-phonologische Variablen, (k), (ç), (aː) und (ɛ/ɛː), von denen hinlänglich bekannt ist, dass sie im gesprochenen Schweizer Standard Variation aufweisen – sowohl auf Ebene der Sprachgemeinschaft als auch auf individueller Ebene (Hove 2002; Christen et al. 2010).

Um die Forschungsfragen zu beantworten, wurden soziolinguistische Interviews, die ein freies Gespräch sowie Lese- und Übersetzungsaufgaben beinhalteten, mit 16 Personen im Alter zwischen 19 und 40 Jahren aus Biel durchgeführt. Die Ergebnisse unserer statistischen Modelle zeigen, dass der Sprachliche-Markt-Index ein robuster Prädiktor für die beobachtete Variation ist. Mittels der relative-variable-importance-Werte (RVI) kann zudem nachgewiesen werden, dass die anderen im Modell berücksichtigten soziolinguistischen und innersprachlichen Faktoren (z.B. Geschlecht, Situationalität) weniger Erklärungskraft besitzen als der Sprachliche-Market-Index.

Literatur
Bourdieu, Pierre/Boltanski, Luc (1975): « Le fétichisme de la langue ». Actes de la recherche en sciences sociales 4: 2–32.
Buchstaller, Isabelle (2015): “Exploring linguistic malleability across the life span: Age-specific patterns in quotative use”. Language in Society 44: 457–496.
Büchler, Andrin/Bülow, Lars/Rawyler, Nicolai (angenommen): „Welchen Einfluss nimmt der Bildungsgrad auf die k-Affrizierung im Schweizer Standard?“. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik.
Bülow, Lars/Büchler, Andrin/Rawyler, Nicolai/Schneider, Christa/Britain, David (2021): “Linguistic, social, and individual factors constraining variation in spoken Swiss Standard German”. In: Werth, Alexander/Bülow, Lars/Pfenninger, Simone E./Schiegg, Markus (eds.): Intra-individual variation in language. Berlin/Boston, Mouton de Gruyter: 127–173. (= Trends in Linguistics 363).
Christen, Helen/Guntern, Manuela/Hove, Ingrid/Petkova, Marina (2010): Hochdeutsch in aller Munde: Eine empirische Untersuchung zur gesprochenen Standardsprache in der Deutschschweiz. Stuttgart: Steiner.
Hove, Ingrid (2002): Die Aussprache der Standardsprache in der deutschen Schweiz. Tübingen: Niemeyer.
Rickford, John/Price, Mackenzie (2013): “Girlz II women: Age-grading, language change, and stylistic variation”. Journal of Sociolinguistics 17/2: 143–179.
Sankoff, David/Laberge, Suzanne (1978): “The linguistic market and the statistical explanation of variability”. In: Sankoff, David (ed.): Linguistic variation. Models and methods. New York/San Francisco/London, Academic Press: 239–250.
Sankoff, David/Cedergren, Henrietta J./Kemp, William/Thibault, Pierre/Vincent, Diane (1989): “Montreal French: language, class, and ideology”. In: Fasold, Ralph W./Schiffrin, Deborah (eds.): Language change and variation. Amsterdam, Benjamins: 107–118.

Item Type:

Conference or Workshop Item (Speech)

Division/Institute:

06 Faculty of Humanities > Department of Linguistics and Literary Studies > Institute of English Languages and Literatures
06 Faculty of Humanities > Department of Linguistics and Literary Studies > Institute of Germanic Languages
06 Faculty of Humanities > Other Institutions > Walter Benjamin Kolleg (WBKolleg) > Center for the Study of Language and Society (CSLS)

Graduate School:

Graduate School of the Arts (GSA) [discontinued]

UniBE Contributor:

Bülow, Lars, Büchler, Andrin, Britain, David

Subjects:

400 Language
300 Social sciences, sociology & anthropology
400 Language > 410 Linguistics
400 Language > 430 German & related languages

Language:

German

Submitter:

Andrin Büchler

Date Deposited:

15 Sep 2022 10:11

Last Modified:

05 Dec 2022 16:24

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/172813

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