Unterrichtsstörungen – ein multiperspektivischer Zugang

Makarova, Elena; Herzog, Walter (4 March 2014). Unterrichtsstörungen – ein multiperspektivischer Zugang (Unpublished). In: 2. Tagung der Gesellschaft für Empirische Bildungsforschung (GEBF). Frankfurt am Main. 03.03.-05.03.2014.

Das Verständnis vom Unterricht als Interaktionssystem (vgl. Breidenstein, 2010; Brophy & Good, 1976; Jackson, 1968; Mehan, 1998; Vanderstraeten, 2001),
unterstreicht die Bedeutung der gegenseitigen Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen für den Aufbau von sozialer Ordnung im Unterricht (vgl. Herzog,
2002, 2011; Kieserling, 1999, S. 110ff.; Luhmann, 1984; Vanderstraeten, 2001). Somit sind Unterrichtsstörungen nicht im Fehlverhalten einzelner Schülerinnen
und Schüler zu verorten, sondern als Ergebnis einer unzulänglich funktionierenden Interaktionsbasis des Unterrichts zu verstehen. Dabei grenzen wir den
Begriff der Unterrichtsstörung auf Störungen der sozialen Ordnung des Unterrichts ein. Unterrichtsstörungen können sich demgemäss in Form von
Regelverletzungen, Schwatzen, Dazwischenrufen, Missachtung der Lehrerautorität, Rempeleien etc. äußern, wobei oft auch Disziplinprobleme
miteingeschlossen werden (vgl. Nolting, 2002).
Das Defizit der bisherigen Forschung, die entweder die Schüler- oder die Lehrerperspektive fokussierte (Woolfolk Hoy & Weinstein 2006, p. 206), wird im
vorliegenden Beitrag durch einen multiperspektivischen Zugang, der beide Perspektiven einander gegenüberstellt, behoben. Dazu analysieren wir die
Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen aus der Sicht der Lehrpersonen sowie aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler derselben Schulklassen. Die erste
Fragestellung lautet daher, inwiefern sich die Wahrnehmung von Unterrichtsstörungen in Abhängigkeit vom Ausmaß der Störung zwischen der Lehrperson
und ihren Schülerinnen und Schüler unterscheidet. Die zweite Fragestellung betrifft die Reaktion der Lehrkräfte auf Unterrichtsstörungen. Dabei untersuchen
wir, wie weit die Wahrnehmung der Lehrerreaktionen auf Unterrichtsstörungen durch die Schülerinnen und Schüler mit der Selbstwahrnehmung der
Lehrperson übereinstimmt.
In methodischer Hinsicht verfolgt die Studie einen multimethodischen Ansatz, der sowohl quantitative als auch qualitative Daten zur Analyse der
Forschungsfragen beizieht. Die Datenbasis der Analysen stammt aus einem Forschungsprojekt, das in fünf deutschsprachigen Kantonen der Schweiz
durchgeführt wurde und zwei Phasen umfasste. In der ersten (quantitativen) Projektphase wurden Schülerinnen und Schüler (N = 4394) sowie deren
Lehrpersonen (N = 225) der 5. Primarstufe mittels eines standardisierten Fragebogens befragt (Makarova, Schönbächler, & Herzog, 2008). Für die zweite
(qualitative) Forschungsphase wurden 24 Klassen nach typologischen Kriterien ausgewählt. In diesen mittlerweile 6. Klassen gaben Schülerinnen und Schüler
in Einzel- und Gruppeninterviews (N = 192) vertiefende Auskünfte zum Unterricht (Schönbächler, Makarova, & Herzog, 2009). Eine auf den Interviewanalysen
beruhende Ergebniszusammenstellung wurde den Lehrpersonen (N = 20) der in der zweiten Forschungsphase beteiligten Klassen zur Stellungnahme vorgelegt
(Makarova, Schönbächler, & Herzog, 2010).
Im Hinblick auf die erste Fragestellung zeigen die Ergebnisse eine weitgehende Übereinstimmung von Lehrer- und Schülerperspektive bei der Wahrnehmung
von Unterrichtsstörungen, und zwar sowohl in Klassen mit niedrigem als auch in solchen mit hohem Störausmaß. Unterschiede zwischen der Lehrer- und
Schülerwahrnehmung zeigen sich jedoch bei der zweiten Fragestellung. Die Lehrkräfte der Klassen mit hohem Störausmaß beurteilen hierbei ihre Reaktion auf
Unterrichtsstörungen weit vorteilhafter als ihre Schülerinnen und Schüler. Zudem legen unsere Ergebnisse eine semantische Instabilität des Begriffs
Unterrichtsstörungen nahe, in dem sie eine unterschiedliche Bedeutung von Unterrichtsstörung in Klassen mit hohem und tiefem Störausmaß belegen.
Insgesamt erweist sich die im vorliegenden Beitrag angewandte Multiperspektivität in der Erfassung von Unterrichtsstörungen als gewinnbringend, da
dadurch die Komplexität der sozialen Situation des Unterrichts veranschaulicht werden kann.

Item Type:

Conference or Workshop Item (Speech)

Division/Institute:

07 Faculty of Human Sciences > Institute of Education > Educational Psychology

UniBE Contributor:

Makarova, Elena, Herzog, Walter

Subjects:

300 Social sciences, sociology & anthropology > 370 Education

Language:

German

Submitter:

Elena Makarova

Date Deposited:

15 Jan 2015 15:41

Last Modified:

05 Dec 2022 14:38

URI:

https://boris.unibe.ch/id/eprint/61397

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